1.8 seconds that matter

1.8 seconds that matter

Bei einem Elevator Pitch hat man meist weniger als eine Minute Zeit, potenzielle Geldgeber von seinen Ideen zu überzeugen. Ein 30sekündiger Werbespot versucht das gleiche – nur dass der Geldgeber eben “Kunde” genannt wird. Anzeigenwerbung wird im Schnitt selten länger als 5 Sekunden betrachtet. Und wie die folgenden Studien zeigen, sind es manchmal nur 1,8 Sekunden, auf die es ankommt, um aus bloßer Produktinformation emotionale Werbung zu machen.

Im Juni des Jahres 2006 wurde der Werbespot “Bouncy Balls” des TV Geräte Herstellers SONY mit dem goldenen Löwen von Cannes ausgezeichnet. Es folgten zwei weitere, ebenfalls preisgekrönte Spots, die einem sehr ähnlichen Schema folgten: Paint (2007) und Play-Doh (2008). Für all jene, die sich nicht mehr an die Spots erinnern, hier eine kleine Erinnerungsstütze:

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Den Paint Spot gibt es hier, den Play Doh Spot hier zu sehen.

Vergleicht man die drei Spots, fällt auf, dass sie alle dem gleichen Schema folgen. Im Zentrum stehen ungewöhnliche – fast möchte man sagen: “unreale” – Farberlebnisse: springende bunte Bälle, explodierende Farben, hüpfende Knethasen. Nach jeweils einer guten Minute wird der claim “Color like no other” eingeblendet. Es folgen zum Abschluss der beworbene Fernseher und die Marke SONY.

Eine Studie zur Wahrnehmung emotionaler Werbung

bravia-play-doh-rabbitsEine Gruppe polnischer Neurowissenschaftler um Rafal Ohme erkannte, dass eben diese Ähnlichkeit die perfekte Grundlage für eine experimentelle Studie war. Mittels neurowissenschaftlicher Methoden versuchten sie herausfinden, ob sich die drei Spots – und vor allem die einzelnen Teile der Spots – in der Wahrnehmung von potenziellen Konsumenten unterscheiden. Zu diesem Zweck verwendeten sie die sogenannte frontale alpha Asymmetrie, einen Index, der im Jahr 1978 von Richard J. Davidson auf einer Tagung vorgestellt und seither immer wieder in der Grundlagenforschung genutzt wurde (und wird), um die Annäherungs- und Vermeidungsmotivation von Menschen zu untersuchen1. Ohme und Kollegen nahmen an, dass die TV Spots unterschiedlich stark auf die Annäherungsmotivation ihrer Probanden wirken würden, bzw. genauer gesagt: Sie erwarteten Unterschiede bezüglich der frontalen alpha Asymmetrie in allen vier Sequenzen der Spots – dem zentralen emotionalen Part, dem Claim, der Produktpräsentation und der Marke – zu finden.

Ergebnisse Teil 1

Um es kurz zu machen: Die Analysen offenbarten einen klaren, sprich statistisch bedeutsamen „Gewinner“: den Balls Werbespot. Dieser löste verglichen mit einer Baseline Messung ohne Spotpräsentation in allen vier Sequenzen ein mit Annährungsmotivation assoziiertes Signal aus. Zudem war dieses Signal während der Claim Präsentation beim Balls Spot stärker als bei den beiden Alternativspots, und auch während des emotionalen Teils gab es bedeutsame Unterschiede zwischen dem Balls und dem Play Doh Spot zugunsten des erstgenannten. Die Autoren interpretieren dies als Hinweis darauf, dass von den drei getesteten Spots nur der Balls Werbespot dauerhaft die Annäherungsmotivation potenzieller Konsumenten aufrechterhält2. Interessant ist hierbei, dass der Balls Spot nicht nur als einziger konstant hohe Werte produziert, sondern dass er sich während und kurz nach der Produktpräsentation von den beiden Alternativspots unterscheidet. Nur der Balls Werbespot greift das dominante Element – die hüpfenden Bälle – bei der Produktpräsentation wieder auf, und nur beim Balls Werbespot wird vor der Einblendung des Markenlogos noch eine kurze Animation (600ms) gezeigt, die den Claim erneut zeigt.

Hätte SONY die Wiederholung des Claims nicht eingeblendet, wären auch die frontalen alpha Asymmetrie Effekte während der Markenpräsentationssequenz verschwunden – so zeigen es die Daten von Ohme und Kollegen3.

Emotionale Werbung ist aber auch nicht immer positiv

Weitere Unterschiede gab es zwischen den beiden “Verlierern” zu berichten: Der emotionale Teil des Paint Spots löste tendenziell4 stärker Annäherungs-assoziierte frontale alpha Asymmetrie aus als der Play Doh Spot, die Präsentation des Claims ging hingegen beim Paint Spot mit für Vermeidungsmotivation assoziierten Werten einher. Die betreffende Szene ist rechts abgebildet.

The Winner takes it all

Die Studie brachte vor allem zwei Ergebnisse: Der Balls Werbespot scheint von den drei untersuchten Spots als einziger dauerhaft einen Effekt auf die frontale alpha Asymmetrie auszulösen, und darüber hinaus schient es ein cleverer Schachzug gewesen zu sein, die Ballanimation während der Markenpräsentation zu zeigen – wahrscheinlich, weil diese die Erlebnisse des emotionalen Teils aktiv halten und sie so mit der Marke verknüpfen. Es bleibt aber die Frage, warum die Bälle so erfolgreich auf die Annährungsmotivation der Zuschauer einwirkten – eine Frage, der die Autoren in einer zweiten Studie nachgingen.

Bei einer detaillierteren Analyse ihrer Daten hatten Rafal Ohme und Kollegen beobachtet, dass vor allem eine nicht einmal 2 Sekunden lange Sequenz, in der ein Frosch aus einem Fallrohr springt, besonders starke Effekte produzierte. In einer zweiten Studie sollte geklärt werden, inwieweit diese Szene die nachfolgende Claim Präsentation vorbereitet und beeinflusst. Der Spot wurde daher erneut potenziellen Kunden gezeigt, einmal mit und einmal ohne die Froschsequenz.

Ergebnisse Teil 2

Ein springender Frosch macht aus Produktinformationen emotione WerbungAuch wenn die einzelnen dem emotionalen Part folgenden Teile (Claim, Produkt, Marke) keine statistisch bedeutsamen Unterschiede im Vergleich mit versus ohne Froschsequenz zeigten, waren die Ergebnisse doch relativ eindeutig: Im Vergleich zur Baseline (ohne Spot Präsentation) lösten der Claim und die Produktpräsentation (aber nicht die Marke) statistisch bedeutsame frontale alpha Asymmetrie aus, wenn die Sequenz mit dem Frosch enthalten war – aber nicht, wenn sie fehlte.

Why go neuro…?

Zugegeben: Vieles von dem, was die beiden Studien zeigen, hätte man bestimmt auch auf anderem Wege herausbekommen. Der Einsatz von frontaler alpha Asymmetrie hat aber mindestens drei Vorteile gegenüber anderen Methoden: Erstens, frontale alpha Asymmetrie liefert Millisekunden-genaue Information. Zweitens ist eine gezielte Beeinflussung dieser Daten so gut wie unmöglich. Und drittens, auch wenn die Messung von Hirnaktivität mit einem gewissen Aufwand verbunden ist, können die Daten aufgenommen werden, während die Probanden ganz normal fernsehen. Realistischere “Laborbedingungen” sind meiner Meinung nach kaum möglich.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Mittels frontaler alpha Asymmetrie kann man a) verschiedene Werbespots miteinander vergleichen, um einen “best candidate” zu bestimmen, b) diejenigen Teile, Szenen und sogar visuellen Elemente eines Werbespots identifizieren, die am meisten zum Erfolg des Spots beitragen, und c) untersuchen, wie einzelne Szenen die Wahrnehmung auch nachhaltig beeinflussen.

Fußnoten

1 Da der frontale alpha Asymmetrie Index im Neuromarketing recht häufig verwendet wird, werde ich in einem späteren Beitrag noch näher darauf eingehen. Für den Moment reicht es zu wissen, dass es sich dabei um eine von vielen möglichen Methoden des Neuromarketing handelt.

2 Genau genommen machen die Autoren an dieser Stelle einen logischen Fehler, der unter dem Stichwort “reverse inference problem” bekannt ist und bald in einem eigenen Beitrag besprochen werden soll.

3 Tatsächlich wurde in der Studie der Bouncy Balls Spot einmal mit und einmal ohne die Claim Animation ausgewertet, um den Einfluss der Animation testen zu können.

4 In der Wissenschaft spricht man für gewöhnlich von einem statistisch bedeutsamen Ereignis, wenn die vorliegenden Ergebnisse mit weniger als 5%iger Wahrschienlichkeit dem Zufall zugeschrieben werden können. Bei 10%iger Zufallsbefund-Wahrscheinlichkeit spricht man von einer Tendenz.

Referenzen

Ohme, R., Reykowska, D., Wiener, D. & Choromanska, A. (2010). Application of frontal EEG asymmetry to advertising research. Journal of Economic Psychology, 31(5), 785-793.

Ohme, R., Matukin, M. & Szczurko, T. (2010). Neurophysiology uncovers secrets of TV commercials. Der Markt, 49, 133-142.

 

[Update vom 28.06.2014] Manchmal muss man eine Konferenz besuchen und auf dieser einen eigenen Vortrag halten, um Fehler in Blogbeiträgen zu entdecken. Die animierten Bälle bei der Produktpräsentation des Balls Werbespot waren, anders als ursprünglich von mir behauptet, irrelevant. Relevant war hingegen eine 600ms dauernde Überleitung vom Fernseher zum SONY Logo. Der oben stehende Beitrag wurde entsprechend korrigiert.