Auch wenn ich's nicht beachte: Ich will's haben!

Auch wenn ich’s nicht beachte: Ich will’s haben!

Mal Hand auf’s Herz: Wie oft beachtet ihr Werbung? So ganz bewusst. Wie oft entdeckt ihr eine Werbeanzeige und seht sie dann ganz in Ruhe an? Gut, viele meiner Leser werden wahrscheinlich in der Werbebranche oder im Marketing tätig sein, weshalb die bewusste Auseinandersetzung mit Werbung quasi zum Berufsalltag gehört. Die meisten Menschen werden Werbung jedoch wahrscheinlich ignorieren.

Und genau dies ist einer der Gründe, warum Neuromarketing so unglaublich wichtig und erfolgreich ist.

Wenn man Menschen nach ihrer Bewertung oder ihrer Einschätzung von Werbung fragt, setzt dies eine bewusste Auseinandersetzung mit Werbung voraus. Kaufentscheidungen basieren aber in den allermeisten Fällen gerade nicht auf bewussten Verarbeitungsprozessen – wie eine Studie aus dem Jahr 2010 beweist.

Erika Hartmann / pixelio.de

Erika Hartmann / pixelio.de

Tusche, Bode und Haynes (2010) legten ihre Studienteilnehmer in einen funktionellen Magnetresonanztomografen und präsentierten ihnen Bilder von unterschiedlichen Autos. Sie sollten angeben, wie attraktiv sie das Auto finden – nichts weiter. So waren die Studienteilnehmer gezwunden, sich zwar bewusst mit den Bildern auseinander zu setzen, ohne dass der Bezug zu Kaufentscheidungen hergestellt wurde. Denn: Erst nachdem die Probanden den Scanner wieder verlassen hatten, wurden sie gefragt, welches der Autos sie kaufen würden.

fMRI Daten sagen Kaufentscheidungen nach bewusster Auseinandersetzung mit dem Produkt vorher

Erinnert ihr euch noch an meinen Artikel zur Studie von Knutson, Rick, Wimmer, Prelec & Loewenstein (2007)? Schon damals legten die Befunde nahe, dass Kaufentscheidungen auf mehreren Faktoren gründen, unter anderem der erwarteten Belohnung durch den Kauf, repräsentiert durch Aktivität im Nucleus Accumbens, dem erwarteten Verlust des Geldes, repräsentiert durch Aktivität in der Insula, sowie der Integration beider Informationen, welche im medialen Präfontalkortex erfolgt.

Die Daten von Tusche, Bode und Haynes (2010) zeigen, dass Probanden nicht einmal bewusst über ihre Kaufabsicht nachdenken müssen.

Sie müssen sich ein Produkt nur aufmerksam ansehen und seine Attraktivität einschätzen – Aktivität im medialen Präfrontalkortex und der Insula kann genutzt werden um vorherzusagen, ob das Produkt bei einer Kaufentscheidung gewählt werden würde oder nicht.

Vorhersage von Kaufentscheidungen funktioniert auch ohne bewusste Auseinandersetzung mit Werbung

Wer achtet in so einer Situation noch auf Werbung?Jens Kühnemund / pixelio.de

Wer achtet in so einer Situation noch auf Werbung?
Jens Kühnemund / pixelio.de

Durch diese Ergebnisse angespornt, gingen Tusche, Bode und Haynes (2010) noch einen Schritt weiter. Wenn Aktivität im medialen Präfrontalkortex und in der Insula sowohl während einer simulierten Kaufsituation als auch während einer Bewertungssituation Kaufverhalten vorhersagen kann – vielleicht dann ja auch, wenn Probanden das Produkt nicht einmal beachten?!

Um diese Annahme zu testen, machten die Autoren ein zweites Experiment, das dem ersten recht ähnlich war. Wieder präsentierten sie Abbildungen von Autos, während die Probanden im Scanner lagen. Diesesmal war jedoch in der Mitte des Bildschirms, sozusagen im Vordergrund des Autos, ein Kreis zu sehen, der zu einer Seite hin geöffnet war. Die Aufgabe der Versuchsteilnehmer war mittels Tastendruck anzugeben, in welche Richtung der Kreis geöffnet war – ihre Aufmerksamkeit wurde also komplett vom “beworbenen Produkt” weg gelenkt.

Nachdem die Scannersitzung beendet war, wurden dann auch sie gefragt, welches der Autos sie kaufen würden.

Wieder konnte Aktivität im medialen Präfrontalkortex und in der Insula die Kaufentscheidung vorhersagen.

Why go neuro…?

Die Studie von Tusche, Bode und Haynes (2010) zeigt, dass die neuronale Grundlage von Kaufentscheidungen nicht nur dann eine konkrete Vorhersage erlaubt, wenn sie während des Abwägens aufgenommen wird (Knutson, Rick, Wimmer, Prelec & Loewenstein, 2007), sondern selbst dann, wenn potenzielle Konsumenten mit etwas vollkommen anderem beschäftigt sind. Eine bewusste Auseinandersetzung mit Werbung ist also für eine Präferenzbildung gar nicht notwendig.

Wenn die Kaufentscheidung aber auf Prozessen beruht, die unbewusst ablaufen (können), dann stellt sich die Frage, ob sie überhaupt bewusst abrufbar sind.

Die Studie von Tusche, Bode und Haynes (2010) zeigt dass es möglich ist, Kaufentscheidungen anhand von neurophysiologischen Daten vorherzusagen lange bevor sich ein Konsument selbst Gedanken darüber gemacht hat, ob er ein Produkt kaufen möchte. Möglichkeiten die unbewusste Kaufabsicht zu messen, habe ich bereits hier besprochen.

Studien wie diese stützen meine Überzeugung, dass Neuromarketing in den nächsten Jahren auch in Deutschland an Bedeutung gewinnen wird. Denn wer wissen will, wie und warum seine Kunden so entscheiden, wie sie entscheiden, kann sich nicht auf Fragebögen verlassen…

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Die bewusste Auseinandersetzung mit Werbung ist für eine Präferenzbildung nicht notwendig. Selbst wenn potenzielle Kunden auf ganz andere Dinge achten, laufen im Gehirn unbewusst diejenigen Prozesse ab, die einer späteren Kaufentscheidung zugrunde liegen. Diese Prozesse kann man wahrscheinlich nicht erfragen – aber man kann sie mittels neurowissenschaftlicher Technologie (Neuromarketing) messen.

Referenzen

Knutson, B., Rick, S., Wimmer, E., Prelec, D. & Loewenstein, G. (2007). Neural predictors of purchases. Neuron, 53, 147-156.

Tusche, A., Bode, S. & Haynes, J.-D. (2010). Neural responses to unattended products predict later consumer choises. The Journal of Neuroscience, 30(23), 8024-8031.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Erich Kasten / pixelio.de