Der Einfluss von Zahlen

Der Einfluss von Zahlen

Wenn dieser Artikel erscheint, hat dieser Blog die magische Grenze von 1.000 Besuchern durchbrochen. Mein erster Gedanke: Wow! Nach gerademal 40 Tagen, mit nur 5 Beiträgen, schon 1.000 Besucher. Beeindruckend!

Dann habe ich nachgedacht.

Dies ist ein Blog über Neuromarketing. Eine google Suche bringt zum Stichwort Neuromarketing fast 2 Millionen (!) Treffer, was ein Indikator für großes öffentliches Interesse ist. Immerhin gibt es den Begriff bereits seit dem Jahr 2002. Wenn man das berücksichtigt klingt 1.000 nicht mehr ganz so beeindruckend, oder?

Der Witz ist: Die Zahl 1.000 ist an sich erstmal wertneutral. Sie ist weder hoch, noch niedrig – denn das ist eine Bewertung, die eine Referenz voraussetzt. Unser Gehirn braucht einen Vergleichswert. Und das spannende ist: Ob dieser Vergleichswert nun Sinn macht, oder nicht, ist erstmal vollkommen sekundär.

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Helmut J. Salzer / pixelio.de

Wenn ich erzähle, dass ich nur 5 Beiträge gebraucht habe um 1.000 Besucher zu erreichen, macht das menschliche Gehirn folgende Rechnung auf: Die Zahl 5 ist relativ klein – das zeigt schon das Wörtchen “nur” davor an. 1.000 ist viel mehr als 5. Gut, Besucherzahlen werden wahrscheinlich schneller und einfacher generiert als Beiträge, also kann man das nicht direkt vergleichen, aber selbst wenn man die 5 Beiträge nach oben korrigiert, ist 1.000 immer noch viel mehr als 5. Sage ich hingegen: Es gibt knapp 2 Millionen google Einträge, fällt der Vergleich entsprechend negativ aus – vollkommen automatisch, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Und das obwohl die Zahlen auf vollkommen anderen Maßstäben liegen!

Es gibt eine Menge Belege dafür, dass Menschen Probleme damit haben, Referenzwerte richtig einzuordnen – vor allem dann, wenn diese Referenzwerte eigentlich denkbar ungeeignet sind, weil sie keinerlei relevante Information enthalten. Werden Probanden beispielsweise gefragt, wie viel Prozent der UNO Mitgliedstaaten auf dem afrikanischen Kontinent liegen, geben Probanden, die zuvor an einem Glücksrad eine hohe Zufallszahl gezogen haben, wesentlich höhere Prozentwerte an als Probanden, die eine nierdrige Zufallszahl erhielten (45 versus 25%, siehe Tversky & Kahnemann, 1974). Das liegt daran, dass der Referenzwert – der sogenannte Anker, also das Ergebnis beim Glücksrad oder 5 Beiträge – diejenigen Gedächtnisinhalte aktiviert, die zur Ankerzahl passen. Diese können dann erleichtert abgerufen werden und verzerren dementsprechend die Bewertung/Einschätzung.

Was hat das mit Marketing zu tun?

Wenn dem menschlichen Gehirn bei der Wahrnehmung von Zahlen der Maßstab (weitgehend) egal ist, ist das eine Information von direkter Relevanz fürs Marketing. Denn auch dort wird viel mit Zahlen gespielt. Bei der Angabe von Mengen. Bei Rabatten. Und, nicht zu vergessen, bei der Preisgestaltung.

Preisgestaltung aus Kundensicht

Rainer Sturm / pixelio.de

Zugegeben, die Preisgestaltung hängt zwangsläufig von vielen Faktoren ab. Für ein Produkt fallen Herstellungskosten, Lagerkosten und Transportkosten an, noch ehe der Kunde es zu Gesicht bekommt. Der Verkauf muss im Normalfall alle Nebenkosten decken, das Personal will bezahlt werden, die Miete ebenso. Dann gilt es zu berücksichtigen, wie verfügbar das hergestellte Produkt ist, usw. All das und noch viel mehr beeinflusst die Preisgestaltung – und der Kunde bekommt nichts davon mit.

Natürlich müssen Produkte genug Einnahmen generieren, um die Kosten zu decken und zusätzlich einen Gewinn zu erwirtschaften. Sich bei der Preisgestaltung an den Kosten oder am erhofften Gewinn zu orientieren, ist aber ein schlechter Anker – denn es ist ein Anker, der einzig und allein auf der Sicht des Verkäufers beruht. Gewinnorientierung mag für den Verkäufer erstrebenswert sein – ob der Kunde, der für das Produkt ja letztendlich bezahlen soll, das Ergebnis akzeptiert, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt.

Why go neuro…?

Aus neurowissenschaftlicher Perspektive hängt jede Kaufentscheidung im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: dem wahrnenommenen Nutzen durch den Erwerb des Produkts und dem wahrgenommenen Verlust durch den Erwerb des Produkts. Einer Studie von Knutson, Rick, Wimmer, Prelec & Loewenstein (2007) zufolge spiegelt sich ersterer in der Aktivität des sogenannten Belohnungssystems wider, auf das ich in einem späteren Beitrag noch eingehen werde. Vor allem der Nucleus Accumbens ist hier zu nennen. Aber nicht nur der Nucleus Accumbens, sondern auch Aktivität im mesialen Präfrontalkortex und in der Insula (lat. für Insel) konnte mathematisch vorhersagen, ob die gemessenen Probanden ein Produkt tatsächlich kauften oder nicht. Letztere war mit der Preiswahrnehmung assoziiert: Je weniger die Insula1 aktiv war, desto eher kauften die Probanden das angebotene Produkt.

Die Daten von Knutson und Kollegen zeigen darüber hinaus, dass das subjektive Abwägen von Produktnutzen und wahrgenommenem Verlust im mesialen Präfrontalkortex stattfindet. Dieser wurde immer erst dann aktiv, wenn beide Informationen – Produktbeschreibung und Preis – verfügbar waren. Damit bietet Neuromarketing richtig eingesetzt einen idealen Zugang zu allen für die Preisgestaltung relevanten Informationen.

Zum Abschluss: Sind 1.000 Besucher jetzt gut oder schlecht?

Ich habe eingangs erwähnt, dass die Bewertung der 1.000 Besucher dieser Seite stark von der Referenz abhängt. Für mich persönlich sind 1.000 Besucher in 40 Tagen eine ganze Menge. Das liegt daran, dass meine persönliche Referenz ein wissenschaftlicher Artikel ist, den ich vor fast exakt 2 Jahren publiziert habe (für die, die es interessiert, ich meine diesen hier). Er wurde seither gut 2.500 mal aufgerufen – ich scheine also nicht der einzige zu sein, der lieber über Neuromarketing als über emotionale Wortverarbeitung liest.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Bei der Preisgestaltung sollte berücksichtigt werden, dass Zahlen (= Preise) immer mit anderen Zahlen (= Ankerwerten) verglichen werden, um sie einordnen zu können. Nur wenn Kunden der Preis angemessen klein und der Produktnutzen angemessen hoch erscheint, kommt es zum Kauf. Mittels Neuromarketing ist es möglich, diesen Vergleich sichtbar zu machen.

Fußnoten

1 In vielen Populärwissenschaftlichen Texten ist zu lesen, dass Geld ausgeben körperliche Schmerzen verursacht oder uns anekelt. Das geht darauf zurück, dass alle drei Prozesse (Bezahlen, Schmerz, Ekel) die Insula aktivieren. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Geldverlust mit Schmerz oder Ekel einhergeht. Auf dieses sogenannte reverse inference problem werde ich später noch zurückkommen.

Referenzen

Knutson, B., Rick, S., Wimmer, E., Prelec, D. & Loewenstein, G. (2007). Neural predictors of purchases. Neuron, 53, 147-156.

Tversky, A., & Kahnemann, D. (1974). Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases. Science, 185, 1124-1131.

 

Artikelbild auf der Basis eines Fotos von Petra Bork / pixelio.de