Der homo oeconomicus - ein Diskussionsbeitrag

Der homo oeconomicus – ein Diskussionsbeitrag

Vor ein paar Wochen hatte ich mit einem sehr guten Freund von mir eine längere Diskussion. Es ging um das Menschenbild des homo oeconomicus, oder mit anderen Worten um das Modell eines rational und ökonomisch sinnvoll agierenden Menschen (hier ein paar mehr Informationen). Meinem Freund war dieses Modell im Laufe seines Studiums begegenet, ich kannte den homo oeconomicus aus der Neuromarketing Literatur.

Das Ergebnis der Diskussion lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen: Wir waren beide übereinstimmend der Meinung, dass dieses Menschenbild nicht haltbar ist.

Der Grund für dieses Diskussionsergebnis sollte regelmäßigen Lesern von discover-neuro.de bestens bekannt sein. Wie ich nicht müde werde zu betonen, gründen die meisten von Menschen getroffenen Entscheidungen gerade nicht auf kalter, rationaler Abwägung, sondern auf Emotionen. Wenn wir uns das menschliche Entscheidungsverhalten beispielsweise in fMRT Untersuchungen ansehen, so sind es immer wieder die Emotionszentren im Gehirn, die eine Vorhersage von Entscheidungsverhalten ermöglichen. Ganz gleich, ob es dabei um simulierte Kaufentscheidungen, wie in dieser Studie, um erfolgreiche Popmusik, wie in dieser Studie, oder um die Stärke von Marken geht – bestimmend sind immer Emotionen.

Was meinen Kumpel am Modell des homo oeconomicus am meisten aufregte, war die Tatsache, dass in seinem Kurs Betriebswirtschaftslehre jeder, auch die Dozentin, um die Realitätsferne des Modells wusste. Da man aber kein besseres Modell zu haben glaubte, wurde bei allen Simulationen und Berechnungen – trotz besseren Wissens – das Modell des homo oeconomicus zugrunde gelegt.

Ein kleiner Skandal? Ich finde schon.

Aber aus anderen Gründen, als man zunächst annehmen könnte.

Der homo oeconomicus als normatives Modell

Viele Wissenschaftler, die im Neuromarketing tätig sind – mich eingeschlossen – betonen immer wieder, dass das Modell des homo oeconomicus empirisch widerlegt wurde. Und in gewisser Weise stimmt das auch, denn Menschen entscheiden ja auch nachweislich nicht immer rational.

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Der homo oeconomicus entscheidet rational.
Wir nicht.
Jorma Bork / pixelio.de

Durch die Lektüre eines sehr empfehlenswerten Buches von Prof. Peter Kenning (eine ausführliche Buchvorstellung ist in Arbeit) bin ich jedoch darauf aufmerksam geworden, dass sowohl mein Freund als auch ich – wie übrigens viele andere vor uns – einem Irrtum erlegen sind.

Das Modell des homo oeconomicus kann nämlich nicht empirisch widerlegt werden. Weil es kein deskriptives, sondern ein normatives Modell ist.

Zur Erklärung: Deskriptive Modelle, wie sie in der Wissenschaft üblich und weit verbreitet sind, erfüllen den Zweck zu beschreiben, wie sich Menschen tatsächlich verhalten, um so eine möglichst genaue Vorhersage über zukünftiges Verhalten zu erlauben. Diese Modelle sollen uns ermöglichen die Welt zu strukturieren, zu verstehen und nachvollziehbar zu machen. Normative Modelle haben im Gegensatz dazu die Aufgabe zu beschreiben wie sich Menschen idealerweise verhalten sollten, um ihre Ziele zu erreichen.

Ein großer Unterschied.

Das Modell des homo oeconomicus ist laut Kenning ein solches normatives Modell. Es beschreibt, wie Menschen zu guten Entscheidungen gelangen – allerdings unter der Voraussetzung, dass ihnen alle Handlungsalternativen und alle Konsequenzen bekannt sind, was in der Realität wohl nur selten der Fall sein wird. Da es aber ein normatives Modell ist, kann es auch nicht empirisch widerlegt werden, denn es ist von Anfang an klar, dass sich Menschen eben nicht nach den Annahmen des Modell verhalten. Sie sollten es tun, um zu den bestmöglichen Entscheidungen zu gelangen. Würden sie tatsächlich dem Modell folgen, bräuchte man aber das Modell nicht mehr – es gäbe dann ja nichts mehr zu verbessern.

Und genau darin liegt der eigentliche von meinem Freund angesprochene Skandal. Wenn man den homo oeconomicus als normatives Modell betrachtet, so wie von Herrn Prof. Kenning beschrieben, dann macht es natürlich noch viel weniger Sinn dieses Modell für Wirtschafts- und Verhaltenssimulationen zu verwenden. Denn es ist ja gerade eine Grundannahme des Modells, dass sich Menschen eben nicht so verhalten, wie vom Modell postuliert. Die Simulation muss dann zwangsläufig zu falschen Ergebnissen führen, da sie bereits wissentlich auf falschen Annahmen fußt.

Nicht das Modell des homo oeconomicus ist widerlegt.

Unser Umgang mit dem Modell sollte überdacht werden.

Ich kann selbst nicht mit Sicherheit sagen, ob der homo oeconomicus als deskriptives oder als normatives Modell gedacht war. Es spielt aber auch letztendlich nur eine untergeordnete Rolle. Was ich sagen kann ist, dass wir das Modell nicht für unsere Forschung oder für Simulationen verwenden sollten. Ob normativ oder deskriptiv, die Ergebnisse solcher Arbeit wären von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Der homo oeconomicus ist ein normatives Modell menschlichen Entscheidungsverhaltens. Wir verhalten uns nicht so, wie vom Modell vorhergesagt. Aber wir sollten uns so verhalten, um unseren Profit zu maximieren. Das Problem liegt also nicht im Modell selbst, sondern in unserem Umgang mit diesem. Für verlässliche Verhaltensvorhersagen war es nie vorgesehen.

 

Beitragsbild auf der Grundlage eines Fotos von M. Gapfel / pixelio.de