Der tote Lachs oder: Ist Neuromarketing Blendwerk?

Der tote Lachs oder: Ist Neuromarketing Blendwerk?

Als wissenschaftlich ausgebildeter Neurowissenschaftler hat man für gewöhnlich eine ganze spezielle Sicht auf Neuromarketing. Neuromarketing nutzt neurowissenschaftliche Methoden, neurowissenschaftliche Theorien, das ganze neurowissenschaftliche Handwerkszeug und vereinfacht es, vereinfacht es weiter, kocht es bis auf seine Essenz zusammen. Um es dann in Bereichen anzuwenden, die aus wissenschaftlicher Sicht höchstgradig uninteressant sind.

Was bringt es der Menschheit zu wissen, dass Bild A ein gegebenes Produkt besser verkauft, als Bild B? Genau. Gar nichts!

Aus Sicht der Neurowissenschaft sind Neuromarketer soetwas wie die schwarzen Schafe der Branche. Sie nutzen Wissen und Methoden, die zumeist von anderen Leuten entwickelt wurden, und versuchen damit Geld zu machen. Offensichtlich erfolgreich.

Ich sehe mich selbst als Neuromarketer. Und ja, ich sehe mich auch als Neurowissenschaftler. Manchmal eine verzwickte Doppelrolle, aber als Neurowissenschaftler nehme ich mir beispielsweise ab und an ganz gern das Recht heraus, Neuromarketing zu kritisieren, wo es mir angemessen erscheint.

Und ich scheine nicht allein damit zu sein.

Können tote Lachse denken?

Als ich letzte Woche den CAMPIXX Neuromarketing Day 2015 besuchte, war ich sehr erfreut darüber, dass ein relativ breites Themensspektrum angeboten wurde. Es ging um Emotionen, um Weboptimierung und Conversion, und – natürlich – um neurowissenschaftliche Methoden. Dabei kam auch eine kritische Betrachtungsweise nicht zu kurz, was mich sehr gefreut hat.

Ausdruck dieser kritischen Betrachtungsweise war vor allem eine im Jahr 2009 auf einer Konferenz vorgestellte und ein Jahr später veröffentlichte Studie von Craig Bennett und Kollegen, die hier im Detail eingesehen werden kann. Die Ergebnisse dieser Studie wurden auf der CAMPIXX mehrfach aufgegriffen, weshalb ich hier auch kurz darauf eingehen möchte.

Kurz gesagt zeigten Bennett und Kollegen (2009), dass man mittels eines fMRTs statistisch signifikante Aktivität in einem Lachs nachweisen kann. Auch dann, wenn der Lachs tot ist.

Warum ist das so?

Immer, wenn in der Wissenschaft ein statistischer Test gerechnet wird, errechnet man letzten Endes die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Ergebnis wie das, was man vorliegen hat, zufällig zu erwarten wäre. 100%ige Sicherheit gibt es nicht. Ist die Wahrscheinlichkeit eines Zufalls aber hinreichend gering – normalerweise wird von einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% oder, im Fall der meisten neurowissenschaftlichen Studien, 1% ausgegangen – sagen wir, das Ergebnis sei “signifikant”, sprich: bedeutsam und nicht nur durch Zufall entstanden.

Wertet man nun ein fMRT Untersuchung aus, hat man für gewöhnlich einige tausend statistische Vergleiche, da das Gehirn in viele kleine Raumeinheiten, sogenannte Voxel eingeteilt wird. Etwa 130.000, um etwas genauer zu sein, aber bleiben wir der Einfachheit halber bei 1000 Voxel. Wenn ich 1000 mal frage, ob ein gemessener Unterschied auch auf den Zufall zurück zu führen sein kann und für mich definiere, dass ich ab einer Irrtumswahrscheinlichkeit von unter 1% davon ausgehe, dass es kein Zufall ist, dann kann ich erwarten, dass etwa 10 dieser Tests (nämlich 1% der 1000 Voxel) einen überzufälligen Unterschied anzeigen. Einfach aufgrund der hohen Anzahl an Tests.

Und so kann es dann passieren, dass mein fMRT bedeutsame Änderungen im Stoffwechsel eines Fisches anzeigt. Eines toten Fisches, wohl gemerkt.

Bedeuten dieser Ergebnisse nun, dass wir neurowissenschaftlichen Ergebnissen nicht trauen können?

Ist Neuromarketing Blendwerk?

Nein.

Bennett und Kollegen sagen selbst, dass zu der Zeit, in der sie ihre Studie durchführten, etwa 25-40% aller veröffentlichten Studien den Fehler begingen, diese Art des “multiplen Testens” nicht in der Analyse zu berücksichtigen. Es gibt nämlich durchaus statistische Methoden, die diesen Fehler korrigieren und für verlässlichere Ergebnisse sorgen.

Ziel ihrer Studie war es, auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Mit Erfolg.

Im Jahr 2012 wurde die Studie von Bennett und Kollegen mit dem Ig Nobel Preis ausgezeichnet, einer Auszeichnung, die wissenschaftliche Arbeiten würdigt, die einen zunächst zum Lachen, dann aber zum Nachdenken bringen. Nach Aussagen der Autoren hat sich in der Zwischenzeit die Zahl der Studien, die diese Korrekturen nicht verwenden, auf etwa 10% reduziert.

Man weiß mittlerweile um die methodischen Schwierigkeiten, die mit fMRT verbunden sind. Auch im Neuromarketing.

(Einen sehr lesenswerten Bericht zur Studie um den toten Lachs findet ihr auch hier. Allerdings ist er auf Englisch.)

Ein Fazit: Tote Lachse können zu guter Verhaltensvorhersage führen

Neuromarketing ist aus meiner Sicht mit vielen Problemen konfrontiert. Eines der drängendsten ist sicherlich das reverse inference Problem, auf das ich hier schon einmal ausführlich eingegangen bin. Ich selbst und viele andere arbeiten an einer Lösung.

Unabhängig davon wissen wir aber, dass Neuromarketing funktioniert:

Wir können Prozesse messen, die dem Kunden nicht bewusst sind.

Wir können bis zu 3 Jahre in die Zukunft vorhersagen, welche Produkte erfolgreich sein werden.

Neuromarketing basierte Vorhersagen sind zuverlässiger, als Befragungen oder Experteninterviews.

Kritik am Neuromarketing – wie auch an der Neurowissenschaft als Ganzes – muss sein. Nur so kann die Disziplin wachsen, sich verbessern und Fehler unterbinden. Der tote Lachs ist hierfür das beste Beispiel.

Aus der teilweise fehlerhaften Auswertung neurowissenschaftlicher Methoden zu schließen, Neuromarketing sei noch nicht so weit wirklich effektiv weiterhelfen zu können, ist in meinen Augen jedoch ein Trugschluss – zumal sich das Feld seit der Veröffentlichung der Studie wesentlich weiterentwickelt hat.

Neuromarketing ist kein Blendwerk.

Aber auch keine Zauberei.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Wenn man sich ansieht, dass tote Lachse im MRT “Hirnaktivität” zeigen, stellt sich die Frage: Ist Neuromarketing Blendwerk? Die Antwort ist simpel: Nein. Richtig gemacht, liefert die Neurowissenschaft zuverlässige und gut verwertbare Erkenntnisse fürs Marketing. Man muss es nur richtig machen. Und manchmal braucht es einen toten Lachs zur Erinnerung.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Daniela Roth / pixelio.de