Die wichtigsten Kaufmotive 1: Neugier

Die wichtigsten Kaufmotive 1: Neugier

Warum kaufen wir das, was wir kaufen?

Warum entscheiden wir uns nicht für eine der vielen möglichen Alternativen? Und warum kaufen wir überhaupt und belassen nicht alles so, wie es ist?

Wenn man sich mit Neuromarketing beschäftigt, liest man oft so viel über Methoden und Hirnareale, über un(ter)bewusste Entscheidungen und irrationales Verhalten, dass die Frage nach dem „Warum?“ schnell in Vergessenheit gerät. Dabei geht es beim Marketing meiner Meinung nach genau darum: Um ein tieferes Verständnis der Bedürfnisse des Konsumenten.
Und – regelmäßige Leser dieses Blogs wird das kaum überraschen – meiner Meinung nach kann Neuromarketing einen wichtigen Beitrag bei der Beantwortung dieser Frage leisten.

Deswegen möchte ich in einer neuen, kleinen Serie von Beiträgen die impliziten Kaufmotive von Menschen untersuchen und aus neurowissenschaftlicher Sicht vorstellen.
Den Anfang macht das für Marketer wahrscheinlich interessanteste Motiv.

Kaufmotive im Neuromarketing: Neugier

Mittlerweile ist es amtlich: Wenn wir wissen wollen, ob eine Werbung das beworbene Produkt erfolgreich am Markt platziert, dann sollte man am besten ins Gehirn von Konsumenten schauen. Aktivität im Nucleus Accumbens, dem Belohnungs(erwartungs)zentrum, sagt tatsächliche Marktzahlen besser voraus, als jede andere bekannte Marktforschungsmethode.
Traditionelle Befragungen eingeschlossen.

Neugier als KaufmotivDoch wenn wir von einer „Belohnungserwartung“ sprechen, was meinen wir dann genau?

Ein kleiner Ausflug in die Hirnphysiologie

In einem der ersten Beiträge, damals zum Thema Emotionen, habe ich mich mit einer Emotionstheorie beschäftigt, die auf dem sogenannten Triune Brain Konzept aufbaut. Eine der zentralen Annehmen des Triune Brains ist, dass sich das Gehirn evolutionär bedingt in drei Phasen entwickelt hat und dass man deshalb – mehr oder weniger trennscharf – zwischen drei Teilen des Gehirns unterscheiden kann: Dem amphibischen Gehirn, das nahezu alle zentralnervös gesteuerten Lebewesen besitzen und welches für die grundlegenden Lebensfunktionen wie Atmung, Herzschlag, Aufrechterhaltung der Körpertemperatur usw. zuständig ist, dem Reptilienhirn, welches darüber hinaus einfache Formen des Lernens erlaubt, und schließlich dem Säugetierhirn, dem Sitz einer mehr oder weniger ausgeprägten Kognition.
Dieser hirnanatomischen Dreiteilung folgend schlägt Jaak Panksepp, ein relativ berühmter Physiologe vom Washington State University College, auch eine Dreiteilung, eine Hierarchie der Emotionen und des emotionalen Erlebens vor, die er mit einem beeindruckenden Kanon tierexperimenteller Untersuchungen belegt.

Zugegeben, sowohl das Triune Brain Konzept als auch das hierarchische Emotionsmodell sind umstritten. Gerade in Bezug auf den Nucleus Accumbens und seine Rolle in der Belohnungserwartung hat sich die Theorie von Panksepp aber bereits vielfach bewährt.

Belohnungserwartung: Der Punkt zwischen Neugier und Furcht

Eines der zentralen emotionalen System (so nennt Panksepp seine Emotionskategorien) im hierarchischem Modell ist das SEEKING System. Diese neuronale Netzwerk ist dafür verantwortlich, dass wir Lebewesen Erkundungsverhalten zeigen, dass sie neue Umgebungen explorieren und dass sie neue Reize untersuchen. Evolutionär betrachtet dürfte dies einer der wichtigsten Handlungsmotoren überhaupt sein, denn die Fähigkeit sich in ungewohnter Umgebung zurecht zu finden, Fluchtwege auszukundschaften und potenzielle Ressourcen aber auch Gefahren zu erkennen ist definitiv ein Selektionsvorteil.
Entsprechend ist das SEEKING System auf der untersten, der primären Ebene des hierarchischen Emotionsmodells zu finden.

Und der zentrale Knoten dieses Systems ist der Nucleus Accumbens.

Kaufen wir, weil wir evolutionsbedingt neue Informationen suchen?

Es sieht ganz danach aus.

Lässt man die Fachsprache mal beiseite und reduziert das SEEKING System auf seinen Kern, kann man wahrscheinlich behaupten, der Nucleus Accumbens sei soetwas wie der Sitz der Neugier. Er regelt unser Verhalten in Bezug auf neue Umgebungen, neue Objekte. Ganz gleich ob es andere Lebewesen, unbekannte Orte, Produkte, Dienstleistungen oder Marken sind.
Neugier wird damit zum zentralen Kaufmotiv.

Neugier bei Kunden zu wecken gehört darüber hinaus zu den wahrscheinlich einfachsten Aufgaben eines Marketers oder Vertrieblers, da Neugier nur eine einzige Zutat braucht: Fehlende Informationen.
Unser Gehirn ist, wie schon andernorts ausgeführt, ständig damit beschäftigt die unmittelbare Zukunft vorherzusagen und zu planen, wie es auf alle Eventualitäten reagiert. Die eigenen Vorhersagen werden kontinuierlich mit der subjektiven Realität abgeglichen, um sicherzustellen, dass nichts falsch läuft.

Wenn dem Gehirn nun aber Informationen…

Vorsicht: Wenn Neugier zu Furcht wird

…vorenthalten werden, entsteht eine Irritation, die das Gehirn aufzulösen versucht. Ist die Irritation sanft genug, wird die Neugier des Konsumenten geweckt. Er macht sich auf die Suche nach dem fehlenden Informationsstück – und wenn die Neugier stark genug ist, ist er auch ohne zu zögern dazu bereit, Geld auszugeben, um an die fehlende Information zu gelangen.

IrritationDabei muss es sich nicht um sachliche Informationen handeln, wie in meinem Beispiel.

Auch ein Gefühl gezeigt und dann nicht ausgelöst zu bekommen kann die Kaufbereitschaft von Konsumenten enorm erhöhen.
Die Schwierigkeit für Marketer liegt nun aber darin, die Irritation im angemessenen Rahmen zu halten. Je stärker die Irritation, desto größer ist zunächst die Neugier und desto mehr steigt die Bereitschaft zum Kauf (und mit ihr der zu erzielende Preis). Es gibt aber einen Punkt, an dem das Hirn die Irritation nicht mehr als potenzielle Bereicherung, sondern potenzielle Gefahr auffasst.

Dann schlägt starke Neugier um in sanfte Furcht.
Wir alle kennen dieses Gefühl: Soll ich oder soll ich nicht? Ich würd ja gern, aber was, wenn es schief geht?

Und wenn dieser Punkt erreicht ist, hat der Marketer seinen Kunden verloren. Es kommt nicht zum Kauf. Es kommt zu einer Vermeidungsreaktion und einer Abwendung.

Neugier und Furcht, wenngleich wahrscheinlich in unterschiedlichen Hirnbereichen verortet, sind funktional betrachtet zwei Seiten der selben Medaille.

Für Marketer kommt es darauf an die richtige Balance zu wahren.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Der Nucleus Accumbens, Sitz der menschlichen Neugier, ist eine der wichtigsten Schaltzentralen wenn es darum geht, Kaufverhalten zu verstehen. Wir kaufen, weil wir neugierig sind, weil unsere Biologie uns dazu animiert, neue Dinge auszuprobieren und daraus für die Zukunft zu lernen. Neugier ist damit ein zentrales Kaufmotiv. Eigentlich ganz einfach.