Methoden im Neuromarketing: EEG

Methoden im Neuromarketing: EEG

Die Elektroenzephalografie – kurz EEG – ist eine der bedeutendsten neurowissenschaftlichen Methoden. Ein großer Teil dieses Blogs wird sich mit EEG Signalen, ihrer Auswertung und ihrer Bedeutung beschäftigen (müssen). Es scheint mir daher sinnvoll, diese Methode etwas ausführlicher einzuführen.

EEG ist vereinfacht ausgedrückt eine Technik, bei der mittels auf der Kopfoberfläche von Probanden angebrachten Elektroden die summierte elektische Aktivität des Gehirns gemessen wird. Man muss sich das wie folgt vorstellen:

Gray627Das menschliche Gehirn besteht aus so ungefähr 100 Milliarden an der Informationsverarbeitung beteiligten, in Netzwerken organisierten Nervenzellen – den sogenannten Neuronen. Wie sich der ein oder andere vielleicht noch aus Schulzeiten erinnert, besteht jedes dieser Neurone aus einem sogenannten Axon, einem Zellkörper und den Dendriten, welche die von benachbarten Neuronen stammende Erregung an den Zellkörper weiterleiten. Erreicht die Erregung einen bestimmten Schwellenwert, wird das Signal durch das Axon zu den Synapsen weitergeleitet, welche dann ihrerseits die Erregung an andere Neurone weitergeben. Wer sich für die Details interessiert, wird hier fündig. Wichtig ist aus meiner Sicht erstmal nur zu verstehen, dass der Informationsfluss immer in eine Richtung geht: Von den Dendriten zu den Synapsen (siehe nebenstehende Abbildung).

Die Flussrichtung der Informationen ist deshalb relevant, weil die Neuronen im menschlichen Gehirn – genauer gesagt in dessen äußerster Schicht, dem sogenannten Neokortex – parallel angeordnet sind. Dies hat zur Folge, dass sich Potenzialdifferenzen einzelner Neurone aufsummieren und dadurch kleine, noch an der Schädeloberfläche messbare Spannungsunterschiede ergeben, wenn größere Netzwerke zeitgleich in Erregung versetzt werden. Wann immer also ein bestimmter kognitiver Prozess abläuft – z.B. die Verarbeitung eines Werbespots1 – hinterlassen die daran beteiligten Netzwerke ein mehr oder weniger charakteristisches, raum-zeitliches Muster im EEG Signal. Diese Muster können dann identifiziert und im besten Fall sinnvoll interpretiert werden, was unter gewissen Umständen letztendlich Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden Prozesse zulässt.

Vom Prozess zum Signal – wie Wellen Sinn ergeben (können)

Beschäftigt man sich mit EEG Signalen, sollte man stets im Hinterkopf behalten, dass das menschliche Hirn ein hoch dynamisches Organ ist. Will man verstehen, wie es funktioniert, braucht man mindestens Informationen darüber, wann ein Prozess abläuft, und wo im Gehirn er verortet, das heißt welche Hirnregion daran beteiligt ist. Das Probelm ist, dass sich diese beiden Dimensionen nur sehr schwer zeitgleich erfassen lassen, zumindest wenn man unsere heutigen technischen Möglichkeiten zugrunde legt. Fürs EEG gilt: Da die messbaren Signale auf elektrischen Spannungsveränderungen beruhen, ist ihre zeitliche Auflösung hervorragend, ihre räumliche Spezifität ist dagegen ausbaufähig.

EEG Rohsignal

8,5 Sekunden EEG Rohsignal von 14 Elektroden

Um diesen Nachteil zumindest ein wenig auszugleichen und immerhin rudimentäre Informationen über beide Dimensionen zu erhalten, erfolgt die Aufnahme des EEG Signals typischerweise über mindestens 32, oft eher 64 oder sogar 128 Elektroden, die nach einem festen Plan auf der gesamten Schädeloberfläche verteilt platziert werden. Mit geeigneten Methoden kann der Ursprung des gemessenen Signals so auf wenige Zentimeter genau eingegrenzt werden. Detailierte Raum-Zeit Information geht allerdings mit enormen Datenmengen einher. Gute EEG Systeme nehmen pro Sekunde und verwendeter Elektrode etwa 500 Datenpunkte auf – ein 30 sekündiger Werbespot beschert einem damit eine knappe halbe Million Datenpunkte.

Man sollte also besser wissen, wonach man sucht und wo genau man nach dem erwarteten Signal suchen muss.

Neben möglichst gutem Vorwissen braucht man darüber hinaus Methoden, welche die große Datenmenge ohne den Verlust relevanter Information auf ein handhabbares Maß reduzieren. Die zwei gängigsten sind die sogenannten Ereigniskorrelierten Potenziale (EKPs) und die Zeit-Frequenz-Analysen:

EKPs

Ereigniskorreliertes Potenzial (EKP)

1. EKPs: Schaut man sich unbearbeitete EEG Signale an (siehe die Abbildung oben), kann man darin mit bloßem Auge kaum ein wiederkehrendes Muster entdecken, selbst dann nicht, wenn man genau weiß, zu welchem Zeitpunkt ein bestimmter Prozess begonnen hat. Unser Gehirn macht einfach zu viele Dinge auf einmal, und erschwerend kommt hinzu, dass es auch immer einen gewissen Messfehler gibt. Wenn man den selben Prozess aber 20 oder 30mal misst, sollte der kognitive Prozess bei jeder Messung relativ unverändert bleiben, der Messfehler hingegen nicht. Bildet man dann den Mittelwert über alle Messungen, verschwindet der Messfehler (im besten Fall). Was übrig bleibt, ist das sogenannte EKP (siehe Abbildung links). Dieses besteht aus verschiedenen Komponenten, das heißt negativen und positiven Maxima der Amplitude, die als Index verschiedener kognitiver Prozesse interpretiert werden können.

2. Zeit-Frequenz-Analysen: EKPs enthalten bereits eine ganze Menge Informationen. Nimmt man es jedoch genau, sind die einzelnen Komponenten das Ergebnis einer Zusammenfassung verschiedener Signalfrequenzen, die mit geeigneten Methoden – nämlich der schon erwähnten Zeit-Frequenz-Analyse – wieder sichtbar gemacht und analysiert werden können. So kann man untersuchen welche Frequenz  zu welchem Zeitpunkt dominant war und genau wie im Falle der Komponenten des EKPs können unterschiedlichen Frequenzbänder als Indizes verschiedener kognitiver Prozesse interpretiert werden.

Vom Signal zum Prozess – EEG in der außerwissenschaftlichen Anwendung

Ursprünglich wurden EEGs in der psychologischen und medizinischen Forschung eingesetzt, um ein besseres Verständnis über den zeitlichen Ablauf verschiedener neuronaler Prozesse zu erlangen. Mittlerweile ist die Technik aber so weit entwickelt, dass sie nicht mehr nur in der Forschung und medizinischen Diagnostik eingesetzt wird. Ein paar Beispiele:

o Durch clevere Versuchsanordnungen ist es möglich mittels EEG herauszufinden, ob eine Person über bestimmte Informationen verfügt, auch wenn sie dies leugnet. Diese Technik spielt vor allem in der forensischen Psychologie eine immer größer werdende Rolle.

o EEG Signale können dafür genutzt werden technische Geräte zu steuern. Dies ermöglicht Menschen mit körperlichen Behinderungen die Bedienung von Geräten, die ihnen sonst nicht möglich wäre. Mit der gleichen Technik werden mittlerweile auch andere interessante Spielereien entwickelt, beispielsweise Autofahren mit freien Händen und Computerspiele mit Gedankensteuerung. Diese Entwicklungen stehen aber noch relativ weit am Anfang.

o Wenn richtig eingesetzt, kann das EEG Signal genutzt werden psychische Krankheiten mittels Neurofeedback zu heilen oder zumindest die entsprechenden Symptome zu bessern. Gerade in diesem Bereich liegen meiner Meinung nach noch viele bislang ungenutzte Möglichkeiten. Die Grundlagenwissenschaft hat gezeigt, dass das EEG Signal sensitiv genug ist, um Phasen erhöhter Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisleistung zu diagnostizieren. Abgesehen davon, dass man natürlich aufpassen muss keine falschen Rückschlüsse zu ziehen (siehe auch meinen Beitrag zu reverse inferences), spricht nicht viel dagegen die Kausalrichtung umzudrehen und das Signal auch zu nutzen, um die entsprechenden Prozesse zu optimieren.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

EEG ist eine in der Medizin und wissenschaftlichen Forschung weit verbreitete Methode, die auch fürs Neuromarketing einen bedeutsamen Beitrag leisten kann. Wenn der Zusammenhang zwischen bestimmten EEG Signalen und den zugrunde liegenden kognitiven Prozessen bekannt ist, kann EEG zur Diagnose genutzt werden – u.a. von Prozessen, die Marketingrelevant sind.

Fußnoten

1 Genau genommen laufen bei der Betrachtung eines Werbespots mehrere Prozesse ab.  Auf die wichtigsten, weil fürs Marketing relevanten, werde ich noch in späteren Beiträgen eingehen.

Referenzen

Birbaumer, N. & Schmidt, R. F. (2003). Biologische Psychologie. Berlin: Springer