Die wichtigsten Kaufmotive 3: Autonomie

Die wichtigsten Kaufmotive 3: Autonomie

Warum kaufen wir das, was wir kaufen?
Warum entscheiden wir uns nicht für eine der vielen möglichen Alternativen? Und warum kaufen wir überhaupt und belassen nicht alles so, wie es ist?

Wenn man sich mit Neuromarketing beschäftigt, liest man oft so viel über Methoden und Hirnareale, über un(ter)bewusste Entscheidungen und irrationales Verhalten, dass die Frage nach dem „Warum?“ schnell in Vergessenheit gerät. Dabei geht es beim Marketing meiner Meinung nach genau darum: Um ein tieferes Verständnis der Bedürfnisse des Konsumenten.
Und – regelmäßige Leser dieses Blogs wird das kaum überraschen – meiner Meinung nach kann Neuromarketing einen wichtigen Beitrag bei der Beantwortung dieser Frage leisten.

Deswegen möchte ich in einer neuen, kleinen Serie von Beiträgen die impliziten Kaufmotive von Menschen untersuchen und aus neurowissenschaftlicher Sicht vorstellen.
Nachdem ich Neugier als zentrales Kaufmotiv eingeführt habe und mich letzte Woche mit dem Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit widmete, möchte ich diese Woche ein oft unterschätztes Motiv vorstellen: das Autonomiemotiv.

Kaufmotive im Neuromarketing: Autonomie

In Deutschland wird oft das Bild des autonomen, selbstbestimmten Konsumenten propagiert. In gewisser Weise stimmt das auch, doch wenn man weiß, wie groß der Effekt von gut gemachter Werbung sein kann – Stichwort Priming – kommt man mitunter ins Grübeln. Sind wir wirklich selbst die Herren unserer Entscheidungen? Wenn es, wie die Neurowissenschaft betont, tatsächlich starke Einflüsse impliziter Prozesse gibt, wenn mein Hirn Kaufentscheidungen vorbereitet, obwohl ich mich mit etwas vollkommen anderem beschäftige, kann man dann wirklich von Autonomie sprechen?

Ich möchte an dieser Stelle keine neue Debatte über Konsum Zombies und freien Willen anzetteln.
Stattdessen möchte ich die Perspektive leicht verändern und folgende Frage aufwerfen: Wenn ihr das Gefühl habt, dass euch jemand zu einer Entscheidung drängt, gebt ihr dem dann nach? Lasst ihr euch Produkte “aufschwatzen”?

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Reaktanz und Trotz: Hauptsache wir müssen nicht immer nur das tun, was andere von uns wollen

ch glaube, die Antwort ist in den meisten Fällen nein.

Unabhängig davon, ob wir objektiv selbstbestimmt sind oder nicht, das Gefühl von Autonomie, das Bewusstsein selbst eine bestimmte Entscheidung getroffen zu haben und nicht zu ihr gedrängt worden zu sein, ist eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, dass wir etwas kaufen. Wird das Werben zu intensiv, der Verkäufer zu aufdringlich, kommt es zu einem Phänomen, das in der Psychologie “Reaktanz” genannt wird: Wir machen das Gegenteil von dem, was der andere von uns will.
Selbst dann, wenn wir eigentlich das gleiche wollten.
Einfach nur um zu zeigen, dass er uns gar nichts weißmachen kann.

Der Erhalt und die Wiederherstellung des Autonomiemotivs sind zentrale Leitmotive des menschlichen Handelns. Auch in der Wirtschaft.

Warum Autonomie so wichtig ist

Wie eigentlich jedes aus dem Neuromarketing stammende Kaufmotiv hat auch das Autonomiemotiv seinen Ursprung in der Evolution. Individuen, die nur das machen, was andere von Ihnen Verlangen – seien es die Eltern, der Freundeskreis oder Wettbewerber – haben geringe Chancen ihr Genom an die nächste Generation weiter zu geben. Es ist für die Vertreter nahezu jeder Spezies, unabhängig vom Geschlecht, attraktiv, wenn der potenzielle Partner seinen eigenen Kopf hat.

Auch wenn es manchmal nervt.

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Vor allem in der Jugend und den jungen Erwachsenenjahren ist das Bedürnis nach Autonomie sehr groß

Unternehmen sollten dieses Bedürfnis nicht unterschätzen. Wenn sich Konsumenten übervorteilt oder über den Tisch gezogen fühlen, werden sie sich über kurz oder lang dagegen wehren – sei es im einfachsten Fall durch den Gang zur Konkurrenz, durch einen Shitstorm im Netz oder im schlimmsten Fall sogar juristisch.
Keine Beziehung, weder zwischenmenschlich noch geschäftlich, verkraftet es, wenn sich eine der beiden Seiten ausgenutzt und nicht respektiert fühlt.

Ist mir zu schwer, entscheide du…

Zur Autonomie gehört aber auch die Möglichkeit, Entscheidungen abzugeben und auf Autonomie zu verzichten. Gerade wenn Entscheidungen sehr komplex werden, weil es zu viele Einflussfaktoren gibt, sind wir dankbar für Experten, die uns die Auswahl erleichtern. Das menschliche Gehirn liebt klare Optionen mit möglichst klaren Vor- und Nachteilen. Einer der Gründe, warum sich gerade bei komplexen Entscheidungen immer wieder Markenbekanntheit als wichtiger Faktor entpuppt.

Wir kaufen, was wir kennen.

Für Unternehmen tut sich hier ein neues, oftmals unterschätztes Geschäftsmodell auf. Im Rahmen des curated shoppings bieten schon heute zahlreiche Webshops die Möglichkeit, nicht selbst Klamotten zu shoppen, sondern eine Vorauswahl durch einen Stylisten treffen zu lassen. Zielgruppe: Mann. Dieser kann einen großen Teil der ungeliebten Entscheidungslast abtreten und muss nur noch die Endauswahl treffen.

Autonomie-Rückgewinnung ist ein Mehrwert… und wird teuer bezahlt

Es muss aber nicht immer der Berater sein, der uns bei Entscheidungen hilft. Google, billiger.de, trivago, jede Suchmaschine hilft uns die Wahlmöglichkeiten anhand von klaren Parametern einzugrenzen und die Entscheidung zu vereinfachen. Sie nehmen uns Arbeit ab, zum Preis unserer persönlichen Nutzungsdaten. Aus der Rechtsberatung ist ein riesiges Geschäftsfeld geworden, bei dem uns innerhalb bestimmter Grauzonen gesagt wird, was wir (gerade noch so) machen dürfen und ab welchem Grenzwert wir (vielleicht und unter bestimmten Umständen) straffällig werden.

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Autonomie heißt selbstbestimmt handeln – und dazu braucht es (teure) Gesundheit

Und nicht zuletzt sollte man die Medizin nicht vergessen, die dafür bezahlt wird für jedes Problem, das unsere Autonomie einschränkt, sei es ein körperliches Gebrechen oder eine psychische Störung, eine Lösung parat zu haben.
Vom Stimmungsaufheller bis zum künstlichen Hüftgelenk.

Ich glaube, das ist es eigentlich, was man meint, wenn man als Unternehmer sagt: Der Kunde ist König. Er sollte die Entscheidungsgewalt haben und alles, was dem Unternehmen bleibt, ist ihm eine möglichst gute Entscheidung zu ermöglichen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Autonomie ist Grundvoraussetzung für Kaufentscheidungen und Kaufmotiv in einem. Fehlt das Gefühl der Selbstbestimmung, werden wir alles in unserer Macht stehende tun, um die Autonomie wieder herzustellen – auch dann, wenn das bedeutet, dass wir dafür Geld in die Hand nehmen müssen. Lasst die Kunden entscheiden. Sie werden es danken.