Gefühlskalte Menschen sind die besten Banker

Gefühlskalte Menschen sind die besten Banker

Zugegeben, die Überschrift ist heute etwas reißerisch. Aber wie bereits erwähnt spielen Emotionen bei der Entscheidungsfindung eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Da kann eine emotional aufgeladene Überschrift nicht schaden.

Vor allem dann nicht, wenn sie einen ernsten, wissenschaftlichen Hintergrund hat.

Und damit sind wir auch schon beim Thema. Ich hätte nämlich, bezugnehmend auf zwei Studien von Baba Shiv und Kollegen (2005), auch titeln können: “Manchmal stehen Emotionen guten Entscheidungen im Weg”.

Wie ich schon vielfach beschrieben habe, sind Hirnstrukturen wie der Orbitofrontalkortex oder die Amygdala maßgeblich am menschlichen Emotionserleben und darüber hinaus auch am menschlichen Entscheidungsverhalten beteiligt. Fallen sie aus oder werden sie beschädigt, fällt es uns schwer sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Shiv und Kollegen (2005) stellten sich aber trotzdem die Frage, ob emotionslose Entscheidungen – unter bestimmten Umständen – nicht doch von Vorteil sein können. Menschen sind nämlich von Natur aus risikoaversiv. Wir neigen dazu, potenzielle Risiken zu überschätzen und auf Nummer sicher zu gehen – gerade in Deutschland, dem Land der Sparfüchse. Im Sinne der Gewinnmaximierung kann es aber manchmal ökonomisch sinnvoll sein, etwas zu riskieren.

Würden Menschen mit Schädigungen in den Emotionsnetzwerken unter diesen Umständen besser abschneiden als der Durchschnittsinvestor?

Investitionsentscheidungen im Labor

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Kopf oder Zahl?
Klaus Rupp / pixelio.de

Um diese Frage beantworten zu können, entwickelten Shiv und Kollegen (2005) ein einfaches Experiment. Sie gaben ihren Probanden 20 Dollar und fragen sie in jeder Runde, ob sie einen Dollar investieren wollen. Sagten die Probanden “ja”, warf der Experimentalleiter eine Münze. Bei Kopf behielt er den investierten Dollar. Bei Zahl bekam der Versuchsteilnehmer 2,50$ zurück. Da er eine 50%ige Gewinnwahrscheinlichkeit hatte, hätte es sich rechnerisch gelohnt in jeder Runde zu investieren, da der erwartete Gewinn bei einem Investment (50%: 1$ Verlust, 50%: 2,50$ Gewinn, also 1,25$ Gewinn) deutlich höher lag als wenn auf ein solches verzichtet und der Dollar einfach nicht eingesetzt wurde (0% Verlust, 100%: 1$ Gewinn).

Insgesamt wurden 20 Runden gespielt. Theoretisch (rein theoretisch!) wäre es also möglich gewesen komplett pleite (immer gesetzt, immer verloren) oder mit 50$ nach Hause zu gehen.

Um nun den Einfluss von Emotionen untersuhen zu können, genauer gesagt: emotionslose Entscheidungen, wurde dieses Experiment mit zwei Probandengruppen durchgeführt: Gruppe 1, die Kontrollgruppe, bestand aus ganz normalen gesunden Menschen, die in der Umgebung rekrutiert wurden. Gruppe 2 waren Patienten, die durch Unfälle oder Krankheiten eine Schädigung in den Bereichen ihres Gehirns erlitten hatten, die bekanntermaßen für emotionale Prozesse verantwortlich sind: der Amygdala, dem Orbitofrontalkortex und der Insula. Und Gruppe 3 bestand schließlich aus Patienten, die ebenfalls Schädigungen im Gehirn davongetragen hatten, die allerdings außerhalb des Emotionsnetzwerks lagen.

Die Ergebnisse sind ziemlich eindeutig:

Während die gesunde Kontrollgruppe und die Gruppe mit Läsionen außerhalb der Emotionsnetzwerke mit zunehmender Dauer des Experiement mehr und mehr dazu neigten nicht zu investieren (die Investitionswahrscheinlichkeit sank von etwa 70-80% auf etwa 50% nach 20 Durchgängen ab), gab es bei Gruppe 2 keinen solchen Einbruch zu beobachten. Sie investierten fast jede Runde (Investitionswahrscheinlichkeit durchgehend bei ca. 85%), was ihnen am Ende im Schnitt 25,70$ einbrachte. Gruppe 1 (22,80$) und Gruppe 2 (20,07$) verdienten statistisch signifikant weniger.

Wenn der erwartete Gewinn positiv ist, scheinen sich emotionslose Entscheidungen also auszuzahlen.

Emotionslose Entscheidungen als Folge von Drogenkonsum?

Das Problem an diesen Ergebnissen ist, dass sie uns nicht viel nützen. Wenn wir trotz besseren Wissens schlecht entscheiden, weil wir unsere Emotionen nicht einfach abstellen können, dann sind wir ja offensichtlich relativ machtlos. Niemand will sein Hirn willentlich schädigen, nur um ein besserer Investmentbanker zu werden, oder?

Der Clou ist, dass das vielleicht gar nicht notwendig ist…

Noch im selben Jahr veröffentlichten Shiv und Kollegen (2005) nämlich eine zweite Studie, in der sie den Einfluss von Drogen auf das Entscheidungsverhalten untersuchten. Zahlreiche Studien legen nahe, dass vermehrter Drogenkonsum, wie er bei klinisch Abhängigen zu finden ist, die Aktivität in Emotionsnetzwerken verändert, das heißt reduziert. Die Autoren vermuteten nun, dass diese Verringerung der neuronalen Aktivität emotionslose Entscheidungen nach sich ziehen könnte – genau, wie in der vorherigen Studie beschrieben.

emotionslose Entscheidungen bei Suchtkranken

emotionslose Entscheidungen bei Suchtkranken
Jorma Bork / pixelio.de

Um dies zu untersuchen, wiederholten sie das oben beschriebene Experiment, diesmal jedoch mit einer Gruppe von Suchtkranken als Gruppe 3. Ob es sich dabei um Alkoholsucht, Kokain oder Metamphetamine handelte, war egal.

Erneut fanden Shiv und Kollegen (2005), dass die Probanden der Gruppe 1 (gesunde Normalos) weniger investierten und wenger Geld mit nach Hause nahmen als Teilnehmer der Gruppe 2 (Schäden im Emotionsnetzwerk). Das Besondere: Gruppe 3 entschied nahezu identisch wie Gruppe 2.

Die suchtkranken Versuchteilnehmer investierten häufiger und nahmen mehr Gewinn mit nach Hause als die gesunde Kontrollgruppe, was einmal mehr belegt, dass sich vermehrter Drogenkonsum auch auf unsere Wahrnehmung von Risiken auswirkt. Im Falle dieses Experiments, in dem der erwartete Gewinn positiv war, zahlte sich dies aus. Bei riskanten Geschäften mit schlechterer Gewinnchance – also finanziellen Entscheidungen, die näher an der Realität sind – kann sich dieser “Vorteil” aber schnell ins Gegenteil verkehren.

Was bedeutet das für die Praxis?

Für Investmentbanker und alle, die Geld anlegen wollen, folgender nicht ganz ernst gemeinter Tip:

Wenn ihr eine Anlagemöglichkeit gefunden habt, von der ihr rein rational absolut sicher seid, dass sie sich auszahlen wird, ihr aber trotzdem Angst habt zu investieren, dann solltet ihr euch erstmal einen ordentlichen Schluck gönnen. Danach beruhigen sich eure Nerven schon… Umgekehrt solltet ihr unter Drogeneinfluss aber keine wichtigen Entscheidungen treffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr das Risiko unterschätzt, ist hoch!

Genauso kann es sich auszahlen, wenn ihr mit Geschäftspartnern vor Vertragsabschluss einen Trinken geht. Aber macht eure Hausaufgaben! Nur wenn die Zahlen stimmen, lohnt es sich, das Risiko außer Acht zu lassen…

 

Realität ist der Zustand, der aus Mangel an Alkohol entsteht.

- irisches Sprichwort

Referenzen

Shiv, B., Loewenstein, G. Bechara, A., Damasio, H. & Damasio, A. R. (2005).  Investment Behavior and the Negative Side of Emotion. Psychological Science, 16(6), 435-439.

Shiv, B., Loewenstein, G. & Bechara, A. (2005). The dark side of emotion in decision-making: When individuals with decreased emotional reactions make more advantageous decisions. Cognitive Brain Research, 23, 85-92.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Michael Kopatz / pixelio.de