Ethik im Neuromarketing

Ethik im Neuromarketing

Wie man hier nachlesen kann, habe ich vor kurzem angemerkt, dass dem Konsumentenschutz viel zu wenig Aufmerksamkeit zukommt. Wann immer neue Methoden im Marketing eingeführt werden, sollte man die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit stellen – vor allem bei einem so hochsensiblen Thema, wie dem direkten Zugriff auf Informationen aus unserem Gehirn. Da Frau Zabels Buch mir nicht weitergeholfen hat, habe ich mich selbst auf die Suche nach Informationen gemacht: Wie steht es um die Ethik im Neuromarketing?

Zunächst bin ich auf einen Artikel von Emily Murphy, Judy Illes und Peter Reiner aus dem Jahr 2008 gestoßen. Er trägt den schönen Titel “Neuroethics of neuromarketing” und benennt vor allem zwei Problembereiche:

Erstens muss aus ethischer Sicht sichergestellt sein, dass niemand durch Neuromarketing zu Schaden kommt oder ausgenutzt wird. Dies betrifft einerseits natürlich die Konsumenten und die an Neuromarketing Experimenten beteiligten Probanden. Jeder, der schon mal an einer klinischen Studie oder einem Grundlagenexperiment teilgenommen hat, weiß, wie viel Papierkram erfolgerlich ist, ehe mit der Studie begonnen werden kann – alles im Interesse einer sicheren Studienteilnahme. Andererseits bezieht sich die Forderung aber auch auf die an Forschung, Verkauf und Repräsentation beteiligten Personen. Französische Neurowissenschaftler sahen beispielsweise die Gefahr, dass durch die große Sichtbarkeit und bisweilen fragwürdige Leistungsfähigkeit von Neuromarketingunternehmen der Ruf der Neurowissenschaft als Ganzes in Verruf geraten könnte, was zum Verbot von Neuromarketing in Frankreich geführt hat.

533528_web_R_K_B_by_rudolf ortner_pixelio.de

rudolf ortner / pixelio.de

Murphy und Kollegen weisen außerdem darauf hin, dass bei einigen Zielgruppen, beispielsweise psychisch Erkrankten oder Kindern, besondere Vorsicht geboten ist, da diese unter Umständen besonders leicht zu beeinflussen sind. In solchen Fällen wären noch einmal strengere Kontrollen und engere Richtlinien ratsam.

Neben dem Schutz aller Parteien muss aus ethischer Sicht zweitens auf jeden Fall die Autonomie der Konsumenten gewahrt bleiben. Es ist zwar fragwürdig, ob Neuromarketing jemals so effektiv werden wird, dass es die Autonomie des Kunden untergraben kann – siehe auch meinen Beitrag zu den Möglichkeiten der direkten Konsumentenbeeinflussung – und Murphy und Kollegen weisen explizit darauf hin, dass nach derzeitigem Stand die Automomie des Kunden nicht in Gefahr ist. Allerdings gibt es Experimente, die beweisen, dass unter bestimmten Bedingungen bestimmte kognitive Prozesse dem menschlichen Bewusstsein nicht zugänglich sind – zum Beispiel die sogenannte blind sight. Sollte es jemals dazu kommen, dass Neuromarketing in der Lage ist solche Prozesse gezielt einzusetzen, wäre es gut vorab zu wissen, wie damit umzugehen ist. Nicht erst, wenn es zu spät ist.

Abschließend schlagen die Autoren einige Richtlinien vor, die ihrer Meinung nach die Grundlage für ethisch korrektes Handeln im Neuromarketing bilden könnten. Diese beinhalten den Schutz der Probanden inklusive expliziter Protokolle zum Umgang mit klinischen Zufallsbefunden, sowie ein besonderes Augenmerk auf Populationen, die sich nicht eigenverantwortlich vor Ausnutzung und Manipulation schützen können. Die mit der Forschung verbundenen Zielen, Risiken und Vorteile sollen vollständig bekannt gegeben werden und die Darstellung der im Neuromarketing verwendeten Methoden und deren Ergebnisse sollte akkurat und aufrichtig sein, um das Vertrauen in neurowissenschaftliche Methoden zu erhalten. Ferner sollte durch permanente Überwachung und Kontrolle die Zuverlässigkeit der verwendeten Methoden garantiert werden.

Ethik im Neuromarketing – der Status quo

Es hat einige Zeit gedauert, aber Anfang des Jahres hat die Neuromarketing Science & Business Association (NMSBA), der größte Neuromarketing Verband der Welt, die Ideen von Autoren wie Murphy und Kollegen aufgenommen und eigene Richtlinien zum Thema Ethik im Neuromarketing veröffentlicht. Das entsprechende PDF File findet ihr hier zum Download.

Jede Firma und jeder Neuromarketer, der Mitglied der NMSBA ist und bleiben möchte, ist verpflichtet, sich an diese Richtlinien zu halten. Soweit ich es erkennen kann, wurde allen Forderungen von Murphy und Kollegen genüge getan – der Schutz aller Beteiligten, Wissenschaftlichkeit, Transparenz und Schutz von Kindern. Andere eventuell leicht beeinflussbare Gruppen tauchen zwar bislang nicht explizit im ethischen Kodex der NMSBA auf – aber was nicht ist, kann ja noch werden!

Ein Tip für die Praxis

Solltet ihr jemals mit Neuromarketern zu tun bekommen, fragt sie nach den ethischen Richtlinien, die ihrer Arbeit zugrunde liegen. Wenn sie auf die NMSBA verweisen, ist alles in Ordnung und ihr könnt euch sicher sein, dass ihr Arbeit nach wissenschaftlichen Standards für euer Geld bekommt. Kennen die Neuromarketer diese Richtlinien nicht, wäre ich eher skeptisch…

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Wenn neurowissenschaftliche Methoden eingesetzt und Informationen direkt aus den Gehirnen potenzieller Konsumenten ausgelesen werden, um Marketingmaßnahmen zu optimieren, ist es wichtig, dass bestimmte ethische Richtlinien eingehalten werden. Schon 2008 wurden verbindliche ethische Richtlinien gefordert – seit Anfang des Jahres sind sie verfügbar und ihre Einhaltung für Mitglieder der NMSBA Pflicht.

Referenzen

Murphy, E. R., Illes, J. & Reiner, P. B. (2008). Neuroethics of neuromarketing. Journal of Consumer Behavior, 7, 293-302.

 

Artikelbild auf der Basis eines Fotos von S. Hofschlaeger / pixelio.de