Experteninterview Neuromarketing im Tourismus

Experteninterview Neuromarketing im Tourismus

In meiner Master-Thesis beschäftigte ich mich damit, ob man Neuromarketing in der Tourismus-Branche anwenden kann. Allerdings fiel mir dabei primär auf, dass es noch kein einheitliches Verständnis von Neuromarketing gibt. Das kam vor allem in den Expertengesprächen zutage. Ich führte die Interviews durch, um zu beweisen, dass Neuromarketing auch im Tourismus funktionieren kann. Vielmehr bin ich jedoch auf den Zwiespalt in Theorie und Praxis gestoßen. Andere wesentliche Erkenntnisse sind aber ebenfalls ans Licht gekommen, vor allem bei dem Interview mit Benny Briesemeister. Um mal einen kleinen Eindruck davon zu vermitteln (das ganze Interview gibt es auch ungekürzt in meiner Arbeit), habe ich die spannendsten Fragen und Antworten noch einmal mitgebracht:

PW = Pia Winkler                 BB = Benny Briesemeister

PW: Ich verstehe unter Neuromarketing die „Erweiterung des Marketings und als wissenschaftliche Untersetzung des Marketings“. Würden Sie sich da so anschließen?

BB: Kann man definitiv so sagen. Also Neuromarketing ist nichts Neues, aber die neurowissenschaftlichen Methoden in der Anwendung sind relativ neu. Sie werden zwar schon über 50 Jahre am Menschen angewandt, aber der Gedanke, dies für Marketing zu verwenden ist neu.  Grundsätzlich sind die zu untersuchenden Phänomene altbekannt, man untersucht sie nur anders und versteht sie auf einer anderen Ebene. Das ist meine Sicht.

PW: Kann es bei einer Beanspruchung von allen 5 Sinnen nicht zu einer Wahrnehmungsüberflutung kommen?

BB: Es kommt drauf an, wie extrem man das macht.
Bestes Beispiel ist der Real Supermarkt. Dieser gehört zur gleichen Muttergruppe wie Saturn und Media Markt. Diese benutzten alle dasselbe Marketingteam. Als Real in Deutschland erschien, hatten Sie einen Werbespot mit einer Zirkustruppe geschaltet. Lautstark, bunt und schrill.

Sie haben im Endeffekt zwei Fehler gemacht: Erster Fehler war, dass über Lebensmittel nie so gesprochen werden sollte, da wir die Sicherheit schätzen. Wir wollen keine Erregung dabei haben, wie bspw. bei einem Tablet o.ä. Das muss einfach, ruhig und sachlich sein.

Als Zweites waren sie unheimlich schnell, haben viel angesprochen und somit eine Unruhe eingearbeitet. Im Sinne der Multisensorik war der Spot gut, aber es war eben nicht kongruent; es war die falsche Mulstisensorik. Resultat war, dass das Gehirn eine Reizüberflutung bekam. Es bekam aus fünf Reizsystemen unterschiedliche Informationen und erlitt einen Overflow. Das ist auch die Quintessenz des Ganzen: Das Gehirn arbeitet ressourcensparend: Je mehr externe Quellen ich habe, aus denen die gleichen Informationen kommen, umso besser für das Gehirn. Es wertet die Informationen dann als stimmig und hat weniger Aufwand. Wenn sie aber nicht passen, dann wird es kritisch. Von daher: Wenn alles auf ein Ziel gerichtet wird und auch so vom Gehirn wahrgenommen wird, dann gibt es keinen Overflow, egal wie viele Sinne ich benutze.

PW: Ich bin der Meinung, dass Neuromarketing implizit auf den Kunden wirkt. Ist diese Funktion effektiver als direkte Werbung?

BB: Ich glaube ja. Das Hirn ist faul. Grundsätzlich versucht es immer Ressourcen zu sparen. Und eine implizite Werbung braucht im Gehirn nicht viel Verarbeitung, sie verbraucht weniger Energie und wird auch nicht bewusst wahrgenommen. Bei der Verarbeitung der gleichen Information auf dem expliziten Weg sieht das schon komplexer aus.

PW: Wie kann man das denn jetzt in der Praxis umsetzen? Wo kann ich denn meine Kunden bewusst und unbewusst ansprechen?

BB: Die erste Antwort ist: Man muss ihn gar nicht bewusst ansprechen. Meistens reicht es, wenn man es unbewusst macht. Das Beste ist, sich einfach mal in die Lage des Konsumenten zu versetzen.

Vor allem an dem Beispiel Hotel geht es ganz gut: Man setze den Kunden in ein Taxi zu irgendeinem Hotel, im besten Fall noch mit einer Brillenkamera ausgestattet, und lasse ihn einmal durchlaufen. Du wirst sehen, dass er auf ganz viele unterschiedliche Sachen geschaut hat. Er wird dir später erzählen, dass er darauf nie geachtet habe. Aber er hat es unbewusst getan und das hat einen Effekt (Priming-Effekt). Stattet man all die Punkte, die auf seinem Wege lagen mit der gleichen Botschaft aus, dann erreicht man unterbewusst eine gute Wahrnehmung. Davon wirst du selbst nicht viel mitkriegen, aber spätestens wenn der Kunde wiederkommt, wirst du merken, dass es gewirkt hat.

PW: Ist es wichtig, Neuromarketing auch kulturübergreifend aufzunehmen? Oder muss man aufpassen, weil ja jede Kultur ihre eigene Symbolik hat?

BB: Beides. Die grundlegenden Mechanismen (z. B. Multisensoring) sind tatsächlich kulturunabhängig. Die Art und Weise der Kommunikation, wie Farbe, Musik usw. sind hochgradig spezifisch für die jeweiligen Kulturen. Und da muss man sehr aufpassen, dass man nicht zu sehr verallgemeinert, sonst geht das schief.

PW: Wirkt Neuromarketing individuell oder kann man damit Massen ansprechen?

BB: Schwierig. Man kann selektieren, welche grundlegenden biologischen Bedürfnisse jeder Einzelne hat. Diese sind nicht individuell, und daher kann man auf dieser Ebene von Massentauglichkeit sprechen. Das gezielte Ansprechen des Einzelnen kann man durch Neuro-Consulting erreichen, aber dann ist es eben wirklich nur auf dieses Individuum angepasst.

PW: Sagen wir, wir stellen dem Gast ein Bett ins Hotelzimmer, dass die Geschichte von dem jeweiligen Hotel-Standort erzählt. Dann riecht es noch nach Meer. Ist es dann schon Neuromarketing? Oder das klassische Marketing etwas aufgepeppt?

BB: Das kommt darauf an, was du schon vorher gelesen hast. Man kann definitiv gut erklären, was du damit erreichen willst.
Für mich ist das der Nutzen des Neuromarketings: Dass Sachen einfach planbar sind und verständlicher werden. Aber die Umsetzung aus neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ist immer Marketing.

PW:  Wenn Neuromarketing jetzt jedes Unternehmen anwenden würde, würde es dann noch abgrenzbar sein?

Vorstellung WinklerBB: Ja und Nein. Ein Konsument kauft etwas, wenn er sich daraus einen Nutzen verspricht. Im Marketing geht es immer darum: „Mit diesem Produkt kannst du dieses oder jenes erreichen.“ Ob du das möchtest oder nicht, ist letztendlich deine Entscheidung. Nun kann man Tausende verschiedene Nutzen identifizieren und alle dahingehend mit Neuromarketing optimieren. Der Kunde wird sie alle unterschiedlich wahrnehmen, da alle einen anderen Nutzen ansprechen.  Insofern, wenn alle Unternehmen einen unterschiedlichen Nutzen versprechen, haben Sie trotzdem alle Ihre Daseinsberechtigungen.

PW: Aber grundsätzlich kann man sagen, dass es für die Hotelbranche anwendbar ist?

BB: Ja, ich glaube sogar in beiden Formen des Marketings: Kommunikation und Verarbeitung.
Bei vielen Hotels habe ich festgestellt, dass nicht effektiv kommuniziert wird, obwohl die Hotels Neuromarketing effektiv nutzen können.  Aber es geht in allen Branchen. Das, was man verstehen muss ist nur: „Was will der Konsument?“

PW: Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.