Interview mit Dr. Michael Hartschen

Interview mit Dr. Michael Hartschen

Ich hatte es angekündigt: In Jahr zwei von discover-neuro wird es nicht mehr nur um meine Sicht der (Neuromarketing-)Welt gehen, sondern ich werde mich bemühen auch andere zu Wort kommen zu lassen. Experten. Menschen, die im Neuromarketing verwurzelt sind. Einer dieser Menschen ist Dr. Michael Hartschen, den ich auf dem Neuromarketing Kongress in München kennengelernt habe. Er ist Simplicity Coach und bemüht, Unternehmen bei der klaren und einfachen Strukturierung ihrer Kommunikation und ihrer Abläufe zu beraten. Nach dem Neuromarketing Kongress kamen wir in Kontakt. Dieses Interview ist das Ergebnis:

Discover-neuro.de: Sehr geehrter Herr Dr. Hartschen, erstmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen für dieses Interview. Beginnen wir gleich mit der wahrscheinlich schwierigsten Frage: Wie Sie wissen, ist Neuromarketing kein festgelegter, geschützter Begriff. Viele Menschen nutzen ihn, meinen aber ganz unterschiedliche Dinge damit. Was ist aus Ihrer Sicht Neuromarketing und warum macht es für Unternehmen Sinn, sich mit Neuromarketing zu beschäftigen?

Dr. Michael Hartschen: Neuromarketing heißt für mich, die Sprache des Empfängers verstehen und in dem Verständnis wie der Empfänger kommunizieren. Dazu gehören nicht nur das Wort, sondern alle Sinne. Es ist auch das Verständnis, wie eine effiziente Wirkung realisiert werden kann. Und dies durch bewusst und unterbewusst ablaufende Prozesse.

Das Neuromarketing berücksichtigt das Wissen, wie unser Gehirn mit all den Sinnen arbeitet und verarbeitet. Das ist bei einer gezielten Vereinfachung oder Innovation sehr wichtig mit einzubinden.

DN.de: Wie kam es dazu, dass Sie sich für Neuromarketing interessierten?

Dr. Michael HartschenDr. MH: Häufig scheitern Innovations- und Vereinfachungsprojekte. Gründe dafür sind: innere Kündigung der Mitarbeitenden, der Nutzer oder Kunde wurde nicht richtig verstanden, dauernd wechselnde Vorgaben oder die Resistenz gegen Veränderungen und neuen Denkweisen/Querdenken der Mitarbeitenden bei der Lösungssuche und Umsetzung.

Andersherum: Erfolgreiche Innovations- und Vereinfachungsprozesse haben den Kunden echt in den Mittelpunkt gestellt. Um dies zu tun, muss man nicht nur das Offensichtliche erkennen und in den Mittelpunkt stellen – sondern auch die nicht artikulierten Bedürfnisse und Besonderheiten müssen erkannt werden. Dabei hilft das Verständnis der Aspekte des Neuromarketings. Ein Verständnis und Fakten zu den versteckten Aspekten zugänglich zu machen, ist dabei wichtig.

Das bringt auch eine Stabilität bei den Anforderungen an eine Lösung und ein Erklärungsmodell für alle beteiligten Personen in interdisziplinären Prozessen.

DN.de: Sie sind als Simplicity Coach unterwegs, bloggen auf www.simplicity-coach.ch/blog zum Thema Einfachheit und haben auf dem Neuromarketing Kongress 2014 einen Vortrag mit dem Titel “Simplicity – die Prinzipien der Einfachheit” gehalten. Wie kam es dazu, dass Sie sich so sehr für das Thema Einfachheit interessierten?

Dr. MH: Haben Sie schon einmal jemanden getroffen, der gefordert hat, dass es komplizierter oder komplexer werden soll? Viele Entwicklungs- und Innovationsprojekte haben den Anspruch, eine einfache Lösung zu konzipieren und zu gestalten. Die Prozesse sollen einfach sein, für den Kunden soll es einfach sein usw. Was einfach für die einzelnen Gruppen bedeutet, wird jedoch nur selten wirklich definiert oder klar beschrieben. Letztendlich ist das dann so, dass jeder aus seiner eigenen Sicht heraus die Anforderung „einfach“ definiert. Und das ist natürlich so nicht richtig.

Daher haben wir uns entschlossen, Hilfsmittel für die Konkretisierung zu entwickeln, um etwas wirklich zielgerichtet zu vereinfachen. Wir haben mehrere hundert Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Geschäftsmodelle untersucht, die gewisse Charakteristiken von Einfachheit erfüllt haben. Daraus haben wir unseren Vereinfachungsprozess und die Prinzipien der Einfachheit entwickelt.

DN.de: In zwei Sätzen: Wie hängen Ihrer Meinung nach Neuromarketing und Simplicity zusammen?

Dr. MH: Um vereinfachen zu können, muss verstanden werden, was der Nutzer oder Kunde unter “einfach” versteht. Dies ist nicht immer offensichtlich erkennbar und das Neuromarketing gibt Hilfestellungen dazu, um dies zu entdecken.

DN.de: Als Unternehmenscoach müssen Sie wahrscheinlich ständig auf dem neuesten Stand bleiben, was aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen angeht. Ich selbst lese aufgrund meines wissenschaftlichen Zugangs zum Thema sehr viele Forschungszeitschriften und entwickle daraus meine Blogbeiträge und Ideen. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Wie und wo informieren Sie sich auch und vor allem in Bezug auf Neuromarketing?

Dr. MH: Einerseits ist es der direkte Austausch mit Menschen, indem ich Gespräche führe. Selbstverständlich orientiere ich mich auch an Blogs, Fachzeitschriften und Newsletter, die ich speziell auf diese Themen scanne. Zudem versuche ich stets Themenfusion zu betreiben. Also nach dem Vorbild: Was meint die Disziplin Biologie z.B. zu dem Thema Verhalten usw.

Ich glaube, es ist wesentlich, dass verschiedene Perspektiven hin zu diesem Thema betrachtet werden. Daher schaue ich mir auch immer wieder branchenfremde Fachgebiete an. Zum Beispiel die Medizin oder auch den Gartenbau.

DN.de: Zurück zum Thema Einfachheit. Warum fällt es Ihrer Meinung nach den meisten Unternehmen schwer, die unternehmerischen Prozesse einfach und nachvollziehbar zu halten?

Dr. MH: Die Beurteilung, ob etwas einfach ist oder nicht, machen wir stets aus unserer eigenen Perspektive heraus. Und in der treten wir ja als Spezialist auf. Der Nutzer oder Kunde von Produkten oder Prozessen ist jedoch der Anwender und hat ein ganz anderes Wissen und ganz andere Erfahrungen. Für einen Spezialist würde dies bedeuten, dass er sich mit Dingen beschäftigen muss, die aus seiner Sicht trivial und überflüssig sind. Für den Anwender sind diese Kleinigkeiten jedoch essentiell. In der Summe sprechen wir hier von Veränderungsprozessen in der Wahrnehmung und Gestaltung. Und genau hier tun sich Organisationen schwer. Es wird vieles zu technisch angesehen.

DN.de: Kann Neuromarketing dazu beitragen, die Dinge einfacher zu machen? Und wie sehr nutzen Sie selbst neurowissenschaftliche Studien und Ergebnisse für Ihre Beratertätigkeit?

Dr. MH: Selbstverständlich kann das Neuromarketing helfen, zu vereinfachen. Erst durch das grundlegende Verständnis, wie der Mensch auch im Unterbewusstsein funktioniert, ist der Schlüssel zu verstehen, was für wen warum einfach ist.

Ich verwende die Erkenntnisse des Neuromarketings, um den Kunden bzw. Nutzer klar in den Mittelpunkt zu stellen. Und daher muss ich ein Verständnis für diese Gruppen aufbauen und ableiten. Die Erfahrungen des Neuromarketings helfen dabei sehr, wenn es z.B. darum geht, auch die verschiedenen Sinne anzusprechen. Egal ob es um das Thema Usability geht oder um Fehlervermeidung.

DN.de: Eine Frage, die ich persönlich immer sehr hasse, die aber leider sehr interessant ist: Wo sehen Sie persönlich Neuromarketing in 10 Jahren – einerseits als Beratungsansatz, andererseits als Methode in der Marktforschung?

Dr. MH: Wenn Unternehmen wirklich effizient und kundenorientiert handeln möchten, müssen sie die Grundsätze des Neuromarketings kennen. Wenn man nur einen Berater ins Haus holt, ohne dass die Gestalter und Entscheider sich selbst weiterentwickeln, wird es scheitern. Daher sehe ich die Zukunft darin, dass das persönliche Verhalten und die Einstellung sich in vielen Funktionsbereichen bezüglich dieses Themas weiterentwickeln werden. So ähnlich, wie es auch mit den Themen Qualität oder Innovation in den letzten Jahrzehnten der Fall war.

DN.de: Discover-neuro.de ist vor kurzem ein Jahr alt geworden. Was würden Sie persönlich gern in Jahr 2 auf einem Blog wie disvover-neuro.de lesen?

Dr. MH: Ich würde gerne die Erfahrungen aus den unterschiedlichen Funktionsbereichen und Führungsebenen zu diesem Thema lesen wollen. Welche Anforderungen werden an Entwickler gestellt, welche an Optimierer und welche an das Management. Und zwar über den normalen Aspekt des Designanspruches hinaus.

DN.de: Herr Dr. Hartschen, nochmals vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Es hat mich sehr gefreut und ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.