Ist Neuromarketing Manipulation am Verbraucher?

Ist Neuromarketing Manipulation am Verbraucher?

Es gibt in der wissenschaftlichen Psychologie eine kleine Strömung, die sich dafür interessiert wie Menschen neu aufkommende Informationen in ihr bestehendes Weltbild integrieren. Sie nennt sich sozialer Konstruktivismus. Eine der Erkenntnisse – oder muss man sagen Grundannahmen? – des sozialen Konstruktivismus ist, dass Menschen gern in entweder-oder-Schubladen denken.

Und man findet sehr leicht Beispiele, die dies zu belegen scheinen.

Schwarz oder weiß? Groß oder klein? Links oder rechts? Halb voll oder halb leer?

Der soziale Konstruktivismus erkennt aber auch an, dass es vielleicht eine wirkliche Welt gibt, die etwas komplexer ist als das. Nur sind wir Menschen nicht in der Lage diese Komplexität zu fassen.

Manipulation – Ein schwer zu begreifendes Konzept

Als Wissenschaftler der Freien Universität war ich zu Neutralität verpflichtet und soweit möglich an die objektive Wahrheit gebunden. Aus diesem Grund wurde ich des öfteren von Journalisten kontaktiert, die etwas zum Thema Neuromarketing wissen wollten.

Die eine Frage, die jedes mal kam: Ist Neuromarketing nicht Manipulation am Verbraucher?

Heute bin ich selbstständiger Unternehmer. Ich bin nicht mehr zur Neutralität verpflichtet, nicht mehr an die Wahrheit gebunden. Und trotzdem ist meine Antwort immernoch die gleiche, wie vor ein paar Wochen.

Ist Neuromarketing Verbrauchermanipulation? Das kommt darauf an, wie man den Begriff “Manipulation” begreift. Für die meisten Menschen ist Manipulation – ganz im Sinne des sozialen Konstruktivismus – eine von zwei Schubladen des entweder-oder-Schemas. Manipultion oder Willensfreiheit. Maniulation oder meine eigene Entscheidung.

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Ehrlich oder gelogen? Ist Neuromarketing Manipulation am Verbraucher?
Karl-Heinz Laube / pixelio.de

Manipulativ oder ehrlich.

Ganz im Sinne des Konstruktivismus möchte ich aber den heutigen Beitrag nutzen, um zu erklären, warum es nicht ganz so einfach ist.

Dieser Beitrag ist eine komplexe Antwort auf die scheinbar einfache Frage: “Ist Neuromarketing Manipulation am Verbraucher?”

Ebene 1: Was ist Manipulation eigentlich?

Wenn man in den Duden schaut, immerhin das deutsche Standardwerk wenn es um Begriffserklärungen geht, dann steht dort, Manipulation sei

undurchschaubares, geschicktes Vorgehen, mit dem sich jemand einen Vorteil verschafft, etwas Begehrtes gewinnt.

- Quelle: Duden.de

 Gehen wir die zentralen Punkte doch einmal am Beispiel von Neuromarketing durch.

Ist Neuromarketing undurchschaubar?

Für den Laien ganz sicher. Auch wenn ich seit Jahren versuche, ein wenig Aufklärung zu leisten, bin ich nicht so vermessen zu glauben Neuromarketing für die Allgemeinheit durchschaubarer zu machen.

Neuromarketing ist undurchschaubar. Ja.

Verschafft Neuromarketing einen Vorteil?

Unternehmen bekommen durch Neuromarketing Informationen über Verbraucherverhalten, an das sie auf anderem Wege (wahrscheinlich) nicht kämen. Dies wiederum ist ganz klar ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten, die keinen Zugriff auf diese Informationen haben. Also ja:

Neuromarketing verschafft Vorteile.

Gewinnt man durch Neuromarketing etwas Begehrtes?

Offensichtlich. Richtig angewendet kann Neuromarketing dazu beitragen, die Umsätze eines Unternehmens zu steigern. Und das Geld eines potenziellen Konsumenten ist ein in der Wirtschaft begehrtes Gut.

Also auch hierzu ja: Neuromarketing sichert Zugang zu etwas Begehrtem.

Basierend auf dieser Definition muss man sagen: Ja, Neuromarketing ist manipulativ. Ich weiß, dass einige Neuromarketer der Meinung sind, Neuromarketing sei dazu da, Werbung effektiver zu machen, und dass Neuromarketing keinen direkten Einfluss auf Konsumenten ausüben würde. Deswegen sei Werbung manipulativ, nicht Neuromarketing. Für mich ist das aber Augenwischerei.

Neuromarketing ist per Definition manipulativ. Schublade auf, Neuromarketing rein, Schublade zu. Fertig.

Oder nicht?

Denn wenn wir ehrlich sind, dann deckt die oben genannte Definition nicht das ab, was wir eigentlich meinen, wenn wir danach fragen, ob Neuromarketing Verbraucher manipuliert.

Die eigentliche Frage ist: Führt Neuromarketing den Verbraucher hinters Licht?

Der soziale Konstruktivismus geht weiterhin davon aus, dass bestimmte Schubladen einen engen Zusammenhang zu anderen Schubladen haben.  Am Beispiel aus der Marketingpraxis wären da zum Beispiel die Schubladen “hoher Preis” und “Qualität” zu nennen.  Oder die eigene Marke und Schubladen wie “attraktiv”, “gut” und “begehrenswert”.

Deswegen denken wir vollkommen automatisch auch an andere Schubladen, wenn wir an Manipulation im obrigen Sinne denken.

“Manipulation” hat für die meisten Menschen einen sehr engen Bezug zu “Übervorteilen”. Wenn jemand anderes etwas macht, wovon ich keine Ahnung habe (undurchschaubar), das zu seinem eigenen Vorteil ist und ihm Zugang zu etwas Begehrtem ermöglicht, nämlich mein Geld, dann muss es zu meinem Nachteil sein. Richtig? Immerhin verliere ich ja Geld.

Sein Vorteil, mein Nachteil.

Und wieder ist die Dichotomie des sozialen Konstruktivismus erkennbar. Aber der soziale Konstruktivismus beschreibt, wie bereits gesagt, das Denken von Menschen. Nicht die Wirklichkeit.

Neuromarketing hat gezeigt, dass Kaufentscheidungen auf der Basis von erwarteter Belohnung und erwarteten Verlusten getroffen werden. Es trägt dazu bei, dass Werte so kommuniziert werden, dass das Kundenhirn sie erkennt. Dass Verluste nicht so schmerzen. In diesem Sinne manipuliert es.

Aber dies geschieht nicht zum Schaden des Kunden.

Wenn ein Produkt den Wert, den es verspricht, nicht liefern kann, wenn ein Verlust eintritt, der nicht erwartet wurde, dann merken wir uns das und passen unsere Entscheidungen entsprechend an. Auch das ist neurowissenschaftlich belegt. Kein Neuromarketer, der wirklich Ahnung von der Funktionsweise des Gehirns hat, würde seinen Klienten raten, Kunden zu täuschen oder hinters Licht zu führen – denn dieses Geschäftsmodell funktioniert nicht.

Neuromarketing versucht die Wirtschaft zu verbessern, indem es dabei hilft dass die objektiv vorhandenen Werte von Produkten und Dienstleistungen auch subjektiv als solche wahrgenommen und verstanden werden. Und in diesem Sinne ist es – meiner Meinung nach – nicht manipulativ, sondern wertschöpfend.

Mann kann natürlich anderer Meinung sein.

Aber ich bin überzeugt, einfaches schwarz-weiß Denken führt bei einem komplexen Thema wie Manipulation am Verbraucher zu keinem Ergebnis. Deswegen hoffe ich darauf, dass eines Tages eine sachliche Diskussion über die Vorzüge und Nachteile von Neuromarketing geführt werden wird und dass Konsumenten ihre Angst vor Manipulation zumindest ein wenig verlieren. Denn auch wenn eine direkte Verbrauchermanipulation durch die Methoden des Neuromarketings technisch durchaus möglich wäre: Sie ist aber weder sinnvoll, noch von Seiten der Neuromarketeers gewollt.

Ich gespannt auf eure Sichtweisen zu diesem Thema.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Ist Neuromarketing manipulativ? Legt man die Definition von Manipulation zugrunde, dann ja. Ist es den Interessen von Verbrauchern entgegengesetzt? Führt es Konsumenten hinters Licht und sorgt dafür, dass man Dinge kauft, die man nicht braucht? Ich glaube nicht. Neuromarketing hilft, Werte zu schaffen und zu kommunizieren. “Werte” aus Verbrauchersicht.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von CFalk / pixelio.de