Kaufentscheidungen und visuelle Auffälligkeit

Kaufentscheidungen und visuelle Auffälligkeit

Als ich damit anfing mich während meines Studiums für Markt- und Werbepsychologie zu interessieren, brachte man mir noch bei: Mehr Aufmerksamkeit bedeutet mehr Verkäufe.

Als ich mich dann in den letzten Jahren anfing für Neuromarketing zu begeistern, hatte sich mit meiner Perspektive auf das Thema auch die Meinung zum Thema Aufmerksamkeit geändert. Die meisten Kaufentscheidungen, so hieß es, treffen wir, ohne uns dessen bewusst zu sein. Aufmerksamkeit im Sinne eines bewussten Informationsverarbeitungsprozesses ist nicht notwendig.

Die Rolle und Wichtigkeit von Aufmerksamkeit für Werbung und Marketing ist bis heute ein viel diskutiertes Thema und wie so oft in der Wissenschaft findet man mühelos Argumente für und gegen beide Positionen:

Manche Studien zeigen, dass Aufmerksam die Werbewirksamkeit erhöht.

Andere Studien zeigen, dass wir Produkte nicht einmal wirklich bewusst ansehen müssen um zu wissen, ob wir sie kaufen wollen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir auch in Zukunft noch viel über Aufmerksamkeit in der Werbung lesen werden und dass die Wirklichkeit ein gutes Stück komplexer ist, als mancher glauben mag. Da wir aber ohne wissenschaftliche Untersuchungen der Antwort auf die Frage nach der Wichtigkeit von Aufmerksamkeitsprozessen nicht näher kommen werden, soll es heute um eine weitere Studie zum Thema gehen.

Genauer gesagt um eine Studie, die man wie folgt überschreiben könnte:

Visuelle Auffälligkeit und deren Wichtigkeit für Konsumentscheidungen

In einer Serie unterschiedlicher Experimente gingen Milosavljevic, Navalpakkam, Koch und Rangel (2012) der Frage nach, wie groß der Einfluss von Aufmerksamkeit, oder besser gesagt: visueller Auffälligkeit tatsächlich ist.  Zunächst zeigten sie ihren Probanden 15 verschiedene Nahrungsmittel (Chips, Schokoriegel, usw.) und baten darum, diese in eine Präferenzreihenfolge zu bringen. Von 1 (Lieblingssnack) bis 15 (mag ich am wenigsten).

chw / pixelio.de

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Dann wurden die Probanden zu einem zweiten Termin ins Labor gebeten. Bedingung: Sie durften drei Stunden zuvor nichts mehr gegessen haben. Ihnen wurden erneut die Lebensmittel gezeigt, diesmal paarweise, und sie wurden gefragt, für welches der beiden Lebensmittel sie sich entscheiden würden. Um die Situation möglichst realitätsnah zu gestalten, wurden außerdem um die beiden zur Wahl stehenden Lebensmittel herum noch weitere abgebildet, um den Eindruck eines Warenautomaten zu erwecken.

Das interessante: Bei einer der beiden Wahlmöglichkeiten wurde die visuelle Auffälligkeit erhöht, indem alle anderen eingeblendeten Lebensmittel auf 65% Helligkeit abgedunkelt wurden. Zudem waren die beiden Wahloptionen unterschiedlich lang zu sehen, zwischen 70 und 500ms.

Die Frage war nun: Wie groß musste die relative, vorab erfragte Präferenz für eines der beiden Lebensmittel sein, damit die visuelle Auffälligkeit an Wichtigkeit verliert? Und: Wie groß ist der Einfluss der Präsentationszeit?

Ergebnisse aus Experimet 1: Es ist komplex…

Zunächst die gute Nachricht: War das angeblich präferierte Produkt visuell hervorgehoben, wurde es auch in der Mehrheit der Durchgänge ausgewählt, selbst dann, wenn es nur sehr, sehr kurz gezeigt wurde und unabhängig davon, wie sehr die Alternative gemocht wurde. Wurde ein stark präferiertes Produkt abgedunkelt, spielte die Präsentationszeit eine größere Rolle: Je länger die Lebensmittel gezeigt wurden, desto eher wurde der Snack gewählt, den die Probanden auch eigentlich lieber hatten. Bei sehr kurzer Präsentationsdauer siegte aber in den meisten Fällen die visuelle Auffälligkeit.

Wirklich interessant wurde es bei Produkten, bei denen die Entscheidung schwer fiel, weil beide Alternativen in der Präferenzliste dicht beieinander lagen und das weniger attraktive Produkt zudem visuell hervorgehoben war. In diesen Fällen setze sich bei kurzer Präsentationsdauer tendenziell die visuelle Auffälligkeit durch, bei langer Präsentationsdauer jedoch klar die eigentliche Präferenz.

Es sieht also so aus, als ob wir unter Zeitdruck anfälliger sind für visuelle Auffälligkeit. Nehmen wir uns Zeit bei der Entscheidung, sind Präferenzen entscheidend, wenngleich der Einfluss von visueller Auffälligkeit auch dann nicht ganz verschwindet. Auch bei schwierigen Entscheidungen, nämlich dann, wenn die Wahloptionen in der Präferenzliste nah beieinander liegen, spielt visuelle Auffälligkeit eine wichtige Rolle. Es scheint fast so als würden wir visuelle Auffälligkeit als Entscheidungshilfe nehmen, wenn wir aus irgendwelchen Gründen (z.B. sehr kurze Warenpräsentation) keine Zeit haben, die Optionen ausführlich zu durchdenken.

Das müsste dann doch auch der Fall sein, wenn wir Entscheidungen treffen sollen, aber eigentlich etwas ganz anderes machen, oder?

Ergebnisse aus Experiment 2: …und je komplexer es ist, desto wichtiger die visuelle Auffälligkeit.

In ihrem zweiten Experiment wiederholten Milosavljevic und Kollegen (2012) den gleichen Versuch, ergänzten ihn jedoch in der Art, dass die Probanden parallel zur eigentlich Entscheidung auch leichte Rechenoperationen vornehmen und die Ergebnisse im Gedächtnis behalten mussten. Dies sollte die kognitive Verarbeitungslast erhöhen – ähnlich wie es der Zeitdruck in Experiment 1 tat. Nur dass die Verarbeitungslast nun zusätzlich zum bestehenden Zeitdruck erhöht wurde.

Im Wesentlichen replizierten die Autoren ihre Ergebnisse aus Experiment 1: Bei relativ leichten Entscheidungen war die Position in der Präferenzliste entscheidend, unter Zeitdruck und bei schweren Entscheidungen wurde die visuelle Auffälligkeit wichtiger. Allerdings – und das ist ein Unterschied zu Experiment 1 – nahm die Bedeutung der visuellen Auffälligkeit nicht monoton mit steigender Präsentationsdauer ab. Stattdessen spielte sie bei sehr kurzen Präsentationsdauern kaum eine Rolle; ebensowenig wie die tatsächliche Präferenz. Bei mittlerer Präsentationsdauer war die visuelle Auffälligkeit entscheidend und erst bei (relativ) langer Präsentation spielte die tatsächliche Präferenz die Hauptrolle.

Wie es scheint, verliert die visuelle Auffälligkeit bei starker kognitiver Belastung ihre Bedeutung.

Was heißt das für die Praxis?

Die Ergebnisse von  Milosavljevic und Kollegen (2012) legen nahe, dass wir nicht immer das kaufen, was wir am liebsten haben. Wenn es schnell gehen muss, kaufen wir das, was uns am ehesten “ins Auge springt”, gerade dann, wenn die Wahl sonst schwer fällt. Sind wir zudem abgelenkt (z.B. weil wir telefonieren), verliert unsere tatsächliche Präferenz weiter an Wichtigkeit. Die visuelle Auffälligkeit ist dann aber auch nicht mehr das alles entscheidende Merkmal.

Was es ist, sagt die Studie von Milosavljevic und Kollegen (2012) leider nicht…

Vielleicht habt ihr ja ein paar Ideen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Wie beeinflusst Aufmerksamkeit unser Kaufverhalten? Offenbar bestimmt die visuelle Auffälligkeit eines Produkt unsere Wahl – vor allem, wenn wir schnell entscheiden. Erst bei längerer Entscheidungszeit wählen wir unseren Präferenzen entsprechend. Ähnliches gilt, wenn wir während der Entscheidung abgelenkt sind, wenngleich hier die Bedeutung visueller Auffälligkeit bei schnellen Entscheidungen ebenfalls abnimmt.

Referenzen

Milosavljevic, M., Navalpakkam, V., Koch, C. & Rangel, A. (2012). Relative visual saliency differences induce sizable bias in consumer choice. Journal of Consumer Psychology, 22, 67-74.

 

Beitragsbild auf der Grundlage eines Fotos von La-Liana / pixelio.de