Klingelnde iPhones sind abstoßend. Buchstäblich.

Klingelnde iPhones sind abstoßend. Buchstäblich.

Was macht iPhones so erfolgreich? Warum campieren Apple Anhänger zum Teil schon Tage vor Verkaufsstart eines neuen Telefons (er hat es “Telefon” genannt – Blasphemie!) vor den Apple Stores, nur um die ersten zu sein, die das kleine weiße Teil ihr eigen nennen können? Wie erreicht man so einen Kultstatus?

Bei meinen Recherchen in Vorbereitung auf meinen Vortrag in Brno bin ich auf einen Artikel gestoßen, der 2011 in der New York Times veröffentlicht wurde und der – unter anderem – eine Untersuchung zu genau dieser Frage beschreibt. Was geht in den Köpfen – genauer gesagt: in den Gehirnen – von Menschen vor, die mit einem iPhone konfrontiert werden? Eine spannende Frage, die damals in der US amerikanischen Neuromarketing Gemeinde für einigen Gesprächsstoff gesorgt hat.

Leider nicht wegen der bahnbrechenden Erkenntisse!

You Love Your iPhone. Literally.

Katharina Scherer / pixelio.de

Katharina Scherer / pixelio.de

Der Times Artikel, der den schönen Titel “You Love Your iPhone. Literally.” trägt (zu Deutsch etwa: Du liebst dein iPhone. Buchstäblich.), wurde von Martin Lindstrom verfasst. Dieser Name ist in Neuromarketing Kreisen sehr bekannt, spätestens seit Veröffentlichung des Buches “buy-ology”, welches weltweit reißenden Absatz fand. Herr Lindstrom ist meines Wissens nach ein dänischer Werbe- und Markenexperte, der in regelmäßigen Abständen durch Äußerungen zum Neuromarketing in Erscheinung tritt – auf den ersten Blick also keine schlechte Referenz. Eine wirkliche neurowissenschaftlich fundierte Grundausbildung hat er aber meines Wissens nach nicht, weshalb ihm “You Love Your iPhone” zum Verhängnis wurde.

Leider begeht Herr Lindstrom in seinem Artikel nämlich einen schweren logischen Fehler, der im Neuromarketing der damaligen Zeit nicht selten war, durch diese Veröffentlichung aber erstmals öffentlich wurde – sein Artikel geriet in die Kritik. Zum Glück machte die New York Times den Bericht auch online verfügbar, so dass wir noch heute aus Herrn Lindstroms Fehler lernen können.

Ohne weiter zu lesen: Wer findet das Problem in Herrn Lindstroms Artikel?

Die Studie aus “You Love Your iPhone. Literally.”

Herr Lindstrom schob insgesamt 16 Probanden in einen fMRT Scanner und präsentierte ihnen in Zusammenarbeit mit der Firma MindSign Neuromarketing Videos und Sounds von klingelnden und vibrierenden iPhones, um die neuronale Aktivität der Probanden untersuchen zu können. Neben Hinweisen auf cross-modale Verarbeitung – auch wenn die Probanden die iPhones nur sehen, aber nicht hören konnten, waren Hirnareale, die normalerweise für akustische Verarbeitung zuständig sind, aktiv (und umgekehrt) – fanden die Neuromarketer Aktivität im insulären Kortex. Und aus dieser Aktivität schlossen sie auf die Liebe der Probanden zum iPhone.

632474_web_R_K_B_by_Rosel Eckstein_pixelio.deWas Herr Lindstrom macht, ist ein klassischer logischer Fehlschluss, eine reverse inference, wie ich sie hier beschrieben habe. Er verweist nämlich auf Studien, die zwischenmenschliche Liebe in Paarbeziehungen untersucht und Aktivität im insulären Kortex gefunden haben. Also schloss er: Wenn Liebe zu Aktivität in der Insula führt und ich Aktivität in der Insula finde, während meine Probanden das iPhone sehen oder hören, dann heißt das doch: “You love your iPhone. Literally.”

Aber: Der insuläre Kortex wird auch dann aktiv, wenn ich schmerzen empfinde. Wenn ich sehr hohe Preise sehe. Oder wenn mich etwas ekelt.

Martin Lindstrom hätte seinen Artikel also ebenso gut “Klingelnde iPhones sind abstoßend. Buchstäblich.” nennen können. Beide Titel wären gleich richtig. Oder vielmehr falsch.

In meinem ersten in diesem Blog veröffentlichten Beitrag, The Power of Neuromarketing, habe ich darauf hingewiesen, dass der Einsatz von neurowissenschaftlichen Methoden in Frakreich zu anderen Zwecken als der Grundlagenforschung, der Medizin und bei Gericht gesetzlich verboten ist, weil Neurowissenschaftler Angst hatten, dass ihre Methoden durch falsche Interpretationen an Akzeptanz in der Bevölkerung verlieren würden. Artikel wie dieser – publiziert im New York Times Magazine, also für die Öffentlichkeit sehr sichtbar – bestätigen, dass diese Angst nicht unbegründet war.

Wie bereits erwähnt, schlug der Artikel hohe Wellen – es waren nämlich schnell eine Reihe namhafter Neurowissenschaftler bemüht, diesen falschen Rückschluss richtig zu stellen und zu betonen, dass die von Herrn Lindstrom beschriebenen Ergebnisse eben kein eindeutiger Beleg dafür sind, dass wir unser iPhone lieben. Umso schöner, dass der Artikel immernoch verfügbar ist, immerhin hätte die New York Times um ihre Glaubwürdigkeit besorgt sein können. Ob Martin Lindstroms Ansehen unter dieser Geschichte gelitten hat, ist mir nicht bekannt. Die an der Studie beteiligte Firma MindSign scheint es aber nicht mehr zu geben – ihre Homepage ist jedenfalls offline.

Und die Moral von der Geschichte?

“You Love Your iPhone” ist ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte und wie abhängig Marketingfachleute von gut ausgebildeten Neurowissenschaftlern sind, wenn sie sich für Neuromarketing interessieren. Ich hoffe in diesem Blog oft genug gezeigt zu haben, dass Neuromarketing ein nützliches und sinnvolles Werkzeug sein kann, wenn es darum geht Werbewirkung zu optimieren (z.B. hier). Man muss aber aufpassen, dass man nicht an die Falschen gerät, die das Buzzword “Neuromarketing” nur nutzen, um ihren Absatz zu steigern. Einige Hinweise, wie man schwarze Schafe im Neuromarketing nach meiner Definition erkennt, findet ihr hier. Dabei glaube ich nicht einmal, dass Herr Linstrom bewusst war, dass er einem Fehlschluss erlegen ist. Das macht es aber umso schwerer macht, schwarze Schafe im NeuroCounseling zu erkennen – mehr dazu in einem späteren Beitrag.

Der Artikel zeigt aber auch, dass die Befürchtung der Franzosen, Neuromarketing könne dem Ansehen der Neurowissenschaft als Ganzes schaden, zwar begründet, aber nicht haltbar war. Immerhin dauerte es nur wenige Tage, bis die Neurowissenschaft-Community Herrn Lindstrom öffentlichkeitswirksam korrigierte. Hier ein Beispiel von Russell Poldrack, einem sehr namhaften Neurowissenschaftler.

Die Lektürde von “You Love Your iPhone. Literally.” hat mich in meinem Anliegen bestärkt, Neuromarketing bekannter zu machen und weiterhin zu versuchen über Fakten zu informieren und leere Versprechen zu entlarven. Denn auch wenn meine Insula beim Anblick von iPhones aktiv werden sollte: Ich finde sie eher abstoßend. Buchstäblich.1

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Im 2011 erschienenden New York Times Artikel “You Love Your iPhone. Literally.” beschreibt Markenexperte Martin Lindstrom, dass klingelnde iPhones Aktivität in der Insula auslösen – und schließt daraus, dass wir iPhones lieben. Dies ist ein Fehlschluss, da Insulaaktivität nichts über die erlebte Emotion aussagt – wie namhafte Wissenschaftler sofort korrigierten.

Fußnote

1 Wer Ironie findet, darf sie behalten ;-)

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von kbregulla / pixelio.de