Neuromarketing Mythos 4: Der Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein

Neuromarketing Mythos 4: Der Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein

Sigmund Freud ist der Begründer der Psychoanalyse und bis heute der wahrscheinlich berühmteste Psychologe überhaupt. Ich nehme an, so ziemlich jeder in Deutschland kann mit seinem Namen etwas anfangen – keine großen Worte nötig. Zu seiner Zeit war Freud ein wissenschaftlicher Popstar, seine Ideen fanden große Verbreitung und haben einen nachhaltigen Einfluss auf die Art und Weise gehabt, wie wir über Menschen denken – bis heute.

Bestes Beispiel: das Unbewusste und seine Rolle bei Entscheidungsfindungsprozessen. In einer Zeit, in der wissenschaftliche Forschung noch ohne bildgebende Verfahren wie die fMRT auskommen musste, war Freud einer der ersten, die erkannten, dass Menschen viele Dinge tun, ohne dasss sie sich bewusst dafür entschieden haben. Er nahm damit einerseits moderne Studien vorweg, die den Einfluss unbewusster Prozesse eindrucksvoll belegen. Andererseits prägte seine Theorie maßgeblich das heute allgemein vorherrschende Verständnis von “dem Unbewussten”.

Leider, muss ich hinzufügen.

Denn auch wenn wir es Freud zu verdanken haben, dass unbewusste Prozesse mehr Berücksichtigung in der modernen Forschung finden, so zahlen wir dafür den Preis einer überkommenen Vorstellung davon, wie das Unbewusste funktioniert – trotz überzeugender anderslautender Erkenntnisse.

Der Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein – ein Mythos?

Vereinfacht ausgedrückt – Psychoanalytiker werden mir meine Oberflächlichkeit verzeihen – ging Freud von drei Instanzen aus, die unser Verhalten steuern: das moralische “Über Ich”, das triebgesteuerte “Es” und das “Ich”, das letzten Endes zwischen den beiden anderen Instanzen hin und her gerissen die Entscheidung trifft. In Freuds Strukturmodell der Psyche besteht also ein ständiger Konflikt zwischen dem Es und dem Über-Ich. Beide Instanzen können unser Bewusstsein erreichen, wirken jedoch weitgehend unter der Bewusstseinsebene, während das Ich weitgehend als eine bewusst erlebte Instanz angenommen wird. Dies resultiert in einem permanenten Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein um die Kontrolle des Körpers.

Ein Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein?Robin Backes / pixelio.de

Ein Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein?
Robin Backes / pixelio.de

Überspitzt formuliert: Ohne dass wir es merken ringen wir zu jedem Zeitpunkt darum, uns nicht von unseren Trieben übermannen zu lassen.

Nimmt man diese Sichtweise auf das Unbewusste als Grundlage, dann wird verständlich warum viele Menschen Neuromarketing mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen. Neuromarketing ist angetreten, die unbewusst ablaufenden Prozesse beim Einkauf messbar und damit kontrollierbar(er) zu machen. Da Werbung aber selten etwas mit Moralvorstellungen zu tun hat, sind wohl die Prozesse des Es gemeint, die durch Neuromarketing gemessen und durch Werbung angesprochen werden.

Im Wettstreit zwischen Trieb (Es) und Moral (Über-Ich) wird Neuromarketing damit zur Waffe des Es und zu einer zutiefst verwerflichen, unmoralischen Angelegenheit. Vorausgesetzt natürlich, dass Freud mit seiner Sichtweise auf das Unbewusste Recht behält.

Die Metapher des Autopiloten

Fragt man Neuromarketer (oder bisweilen auch Neurowissenschaftler) nach dem Unbewussten, hört sich das, was man als Antwort erhält, jedoch ganz anders an als bei Freud. Die letzten Jahrzehnte intensiver Hirnforschung haben Freuds Annahmen ein ums andere mal getestet – und korrigiert. Der Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein hat ausgedient, an seine Stelle tritt eine neue Metapher: das Unbewusste als Autopilot.

Was hat es damit auf sich?

Betrachtet man die Menge an Informationen, die zu jedem Zeitpunkt auf unser Gehirn einprasseln, stellt man schnell fest, dass uns der größte Teil dieser Informationen gar nicht bewusst ist. Wenn man es will, kann man zu jedem Zeitpunkt die Kleidung auf der Haut spüren. Man muss nur seine (bewusste) Aufmerksamkeit darauf richten. Unser Gehirn verarbeitet permanent diese taktilen Reize, oder besser gesagt: Veränderungen in der taktilen Reizung, wie sie beispielsweise bei Bewegung entsteht. Dennoch ist uns diese Veränderung nur denn bewusst, wenn wir uns darauf konzentrieren. Oder wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht. Und das hat einen ganz einfachen Grund: Die Verarbeitungskapazität unseres Bewusstseins ist seriell und damit begrenzt. Wir können uns nicht gleichzeitig bewusst mit dem Gefühl von Kleidung auf unserer Haut, dem Duft frischen Laubs in der kühlen Morgenluft und dem Handy beschäftigen. Wir müssen uns für eines entscheiden, wollen wir es bewusst erleben.

Unser Gehirn ist jedoch mehr als nur unser Bewusstsein und macht deshalb vieles parallel und vollkommen automatisch. Das berühmte Cocktailparty-Phänomen beweist es: Sind wir auf einer lauten Party in ein Gespräch verteift, ist unser Bewusstsein vollkommen mit unserem Gegenüber beschäftigt. Fällt aber irgendwo im Raum unser Name, horchen wir auf. Unser Gehirn verarbeitet mehr als nur das Gespräch mit unserem Gegenüber, um auf gegebenenfalls relevante Reize angemessen und schnell reagieren zu können. Bewusst bekommen wir das aber erst mit, wenn der Ernstfall auch eintritt.

Es gibt keinen ständigen Konfligt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein zumindest nicht in der Form, wie ihn Freud annahm. Viel mehr arbeitet unser Unterbewusstsein permanent daran, unser Leben zu steuern und alle dafür notwendigen Prozesse aufrecht zu erhalten. Es fungiert wie ein Autopilot, überwacht die Außenwelt, gleicht das aktuelle Geschehen mit unseren Vorstellungen und Wünschen ab. Kommt es dann zu einem unvorhergesehenen Ereignis, einer Störung, einem potenziell relevanten Signal, wird diese Information an das Bewusstsein weitergereicht. Hier übernimmt dann der langsame, kontrollierte, planende Pilot. Bewusstsein und Unterbewusstsein arbeiten Hand in Hand, nicht gegeneinander. So zumindest lehrt es die Neurowissenschaft.

Was hat das mit Neuromarketing zu tun?

Legt man dieses Verständnis unbewusster Prozesse zugrunde, wird klarer, warum Neuromarketing so erfolgreich ist. Kaufentscheidungen, das habe ich bereits mehrfach beschrieben, beruhen nunmal zum großen Teil auf Prozessen des Autopiloten. Sie sind dem Bewusstsein nur bedingt zugänglich. Wenn Werbung und Marketing aber nur den bewussten Teil unserer Entscheidungsprozesse ansprechen, bekommt das Gehirn nur unzureichende oder im schlimmsten Fall sogar unterbewusst widersprüchliche Informationen. Dies ist nicht im Sinne der Unternehmen, aber auch nicht im Sinne des Konsumenten, der ja eine gute Kaufentscheidung treffen möchte.

Neuromarketing kann dabei helfen, dem Unterbewusstsein jene Informationen zukommen zu lassen, die es für eine Kaufentscheidung braucht. Das macht uns nicht zu Konsum-Zombies. Es unterstützt den Kaufprozess viel eher dort, wo er entsteht: im Unterbewusstsein.

Damit will ich nicht sagen, dass der Einsatz von Neuromarketing immer und überall nur zum Nutzen des Konsumenten ist… wie jede Technologie kann auch Neuromarketing zum Vorteil und zum Nachteil eingesetzt werden. Ich möchte jedoch deutlich machen, dass Neuromarketing nicht ausschließlich negativ für den Konsumenten ist. Unbewusste Kommunikation muss nichts schlechtes sein. Sie findet sowieso statt. Neuromarketing hilft nur dabei, sie zu lenken und zu verstehen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Allgemein gehen Kunden von einem Konflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein aus, und davon dass Neuromarketing diesen Konflikt zugunsten ungewollter unbewusster Prozesse manipuliert. Dieses Verständnis des Unbewusstseins ist jedoch so nicht korrekt. Viel mehr arbeiten Bewusstsein und Unterbewusstsein wie Pilot und Autopilot zusammen. Neuromarketing macht diese Zusammenarbeit lediglich sichtbar und verständlich.