
Konsum ist manchmal verantwortungslos
Ich gebe es zu: Werbung macht mir Spaß. Konsum macht mir Spaß. Und weil wir Menschen – so auch ich – von unseren Emotionen gesteuert werden, vergesse ich dabei allzu leicht, dass ich mit meinem Konsum auch eine Verantwortung trage.
Zum Beispiel Verantwortung für das, was nach dem Konsum mit meinem Geld passiert.
Durch Zufall ist mir vor kurzem die Oktoberausgabe des UniSPIEGEL in die Hände gefallen und ein Artikel darin hat mir schmerzhaft vor Augen geführt, wie verantwortungslos wir manchmal in unserem Konsum sind. Auch wenn es mit Neuromarketing im engeren Sinne nichts zu tun hat: Es ist Zeit sich mal (wieder) mit den Schattenseiten des Marketings zu beschäftigen!
Bestimmen wir den Wert eines (Mäuse-)Lebens
Zunächst einmal: Bitte merkt euch den Namen Armin Falk, wenn ihr ihn nicht sowieso schon kennt. Herr Falk ist Ökonom und er führt bemerkenswerte Experimente durch. Radikale Experimente, die vielleicht auch gerade deshalb auf beeindruckende Art und Weise die Schattenseiten des Kapitalismus vor Augen führen.
Stellt euch vor, ihr kommt in ein Labor und man zeigt euch einen Film, in dem eine kleine Maus langsam vergast wird. Sie stirbt quasi vor euren Augen, das ganze dauert etwa 10 Minuten. Man erklärt euch, dass ihr in diesem Experiment eine eben solche Maus anvertraut bekommt und dass jemand versuchen wird, euch die Maus abzukaufen. Wenn ihr das Geld nehmt, wird die Maus – wie im Video gesehen – getötet. Wenn ihr das Geld ablehnt, wird sie weiterleben, bis sie in voraussichtlich 2 Jahren eines natürlichen Todes stirbt. Das Leben der Maus liegt also in eurer Verantwortung.
Klingt drastisch? Ist es auch!
Und wer jetzt der Meinung ist, dass dies das unsinnigste Experiment der Welt sei, weil doch niemand im Rahmen eines Experiments an einer Universität das Leben eines Tieres verkaufen würde, dem bescheinige ich hiermit hohe moralische Wertvorstellungen, aber eine schlechte Menschenkenntnis.
Insgesamt drei Marktsituationen wurden in der Studie von Falk und Szech (2013) simuliert:
In Marktsituation 1 erhielten die Probanden das Angebot das Leben der Maus zu opfern und dafür 10 Euro zu erhalten, oder das Leben der Maus zu schonen, aber kein Geld zu erhalten. Das Angebot war nicht verhandelbar, insgesamt sahen sich 124 Probanden mit dieser Entscheidung konfrontiert.
In Marktsituation 2 wurden je zwei Probanden zusammen gebracht. Der “Verkäufer” erhielt die Verantwortung für das Leben der Maus, der “Käufer” sollte sie mit einem Budget von maximal 20 Euro zu kaufen. Das Geld wurde ihm zur Verfügung gestellt, allerdings musste er es komplett zurück geben, sollte kein Handel zustande kommen. Das interessante: Sowohl Käufer als auch Verkäufer wussten, dass die Maus getötet würde, sollte es zu einem Verkauf kommen. Nur bei einem “Scheitern” der Verhandlungen blieb die Maus am Leben. Insgesamt 72 Probanden waren in dieser Gruppe.
Marktsituation 3 verschärfte den Wettbewerb weiter, indem insgesamt sieben Käufer versuchten mit insgesamt 9 Verkäufern ins Geschäft zu kommen. Auch hier standen den Käufern 20 Euro zur Verfügung, auch hier war allen Teilnehmern bewusst, dass ein Verkauf den Tod des Tieres nach sich zog und dass ein Nicht-Verkauf zwar das Leben einer Maus rettet, aber eben auch den Verlust der 20 Euro bedeutet. In dieser Gruppe wurden insgesamt 96 Probanden getestet.
Die der Untersuchung zugrundeliegende Annahme war, dass zunehmend komplexe Marktsituationen zu einem immer geringeren Gefühl der unmittelbaren Verantwortung führen, was im Umkehrschluss zu immer höheren Tötungsraten der Mäuse führt. Denn, so viel sei vorweg genommen, die Ankündigung der Wissenschaftler war kein Fake: Wurde die Verantwortung für die Maus verkauft, wurde die Maus auch wie angekündigt getötet.
Die Ergebnisse sind eindeutig – und schockierend
Es verwundert wohl kaum, dass die Vorhersage der Wissenschaftler zutreffend war. Was ich jedoch nicht erwartete hatte, ist die Deutlichkeit des Effekts.
In Marktsituation 1 waren 45,9% der Teilnehmer bereit, das Leben “ihrer” Maus für 10 Euro zu opfern. Das ist (fast) jeder zweite Versuchsteilnehmer. In Marktsituation 2 verkauften ganze 72,2% der Teilnehmer das Leben ihrer Maus für 10 Euro oder weniger. Wir erinnern uns: Der Preis war in dieser Situation frei verhandelbar. In Marktsituation 3 mussten schließlich 75,9% der Mäuse ihr Leben lassen, damit ihre Verkäufer 10 Euro (oder weniger) bekamen. In dieser Statistik sind Angebote über 10 Euro nicht einmal berücksichtigt!
Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Und durch ein zweites Experiment, ähnlich der Marktsituation 1, nur dass den Versuchsteilnehmern so lange neue, höhere Angebote gemacht wurden, bis sie schließlich das Geld nahmen, werden sie noch deutlicher:
Steigert man das Angebot für das Mäuseleben kontinuierlich, wird sie im Schnitt für 5,10 Euro verkauft. Will man allerdings erreichen, dass auch ohne die Möglichkeit zu Verhandeln genau so viele Mäuse geopfert werden wie in Marktsituation 2 und 3, müssen sogar 47,50 Euro, bzw. über 50 Euro geboten werden. Der Wert eines Mäuselebens sinkt also von 47,50 Euro wenn man das Gefühl hat allein die Verantwortung zu tragen, auf 10 Euro wenn mindestens eine zweite Person Einfluss auf den Preis nimmt. Dies zeigt eindrucksvoll, wie groß der Effekt der simulierten Märkte ist.
Fazit: Niemand nimmt uns die Verantwortung ab!
Eine tote Maus bleibt tot, egal wie viele Menschen über ihr Leben verhandelt haben. Wenn wir etwas konsumieren, finanzieren wir damit diejenigen, die für das Produkt verantwortlich sind. Wir finanzieren die Vertriebswege, die Marketingmaßnahmen, die Kinderarbeiter, den Raubbau.
So funktioniert der Kapitalismus nunmal.
Daher meinen allergrößten Respekt an all jene, die trotz der 50 Euro verantwortungsvoll handeln!
Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern
Je mehr Menschen an einem Handel beteiligt sind, umso mehr schwindet das unmittelbare Verantwortungsgefühl für mögliche Konsequenzen. Haben Kunden Einfluss auf den Preis, verkaufen über 70% das Leben einer Maus für 10 Euro (oder weniger). Ohne Verhandlungsmöglichkeit müssen hingegen fast 50 Euro geboten werden, um die gleiche Quote zu erreichen.
Referenzen
Falk, A. & Szech, N. (2013). Morals and Markets. Science, 340, 707-711.
Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Bettina Stolze / pixelio.de
Lieber Benny Briesemeister,
danke sehr für diesen spannenden Artikel in dem tollen Schreibstil.
Da ich an der Umsetzung der hier dargestellten Studie beteiligt war, wollte ich einen oft missgedeuteten Umstand aufdecken: Faktisch hat niemand “im Rahmen eines Experiments an einer Universität das Leben eines Tieres” verkauft. Praktisch betrachtet handelte es sich um sogenannte “überzählige” Mäuse, die aufgrund der Entscheidung mancher Probanden freigekauft wurden und nun ein fröhliches Nagerleben führen dürfen.
Hier mal ein Link, der zur Richtigstellung des SPIEGEL-Artikels veröffentlicht wurde:
http://www.cens.uni-bonn.de/experiments/falk-szech/richtigstellung-unispiegel-5-2013-2013-der-radikalforscher
Schöne Grüße und weiterhin viel Erfolg
Xenia Wolkowaja
Liebe Xenia Wolkowaja,
vielen Dank für den Kommentar, das Lob und nicht zuletzt auch für diese wirklich klasse Studie! Ich wusste schon, dass es sich um überzählige Mäuse handelte (ich verlasse mich bei meinen Beiträgen nie auf Sekundärliteratur, sondern recherchiere die Originalquelle), hätte das aber vielleicht auch stärker herausstellen sollen. Letztendlich ist es aber egal für die Ergebnisse. Die Studie hat mir – mal wieder – vor Augen geführt, dass ein T-Shirt für 3 Euro nicht billig ist, sondern versteckt andere Kosten hat. Und wenn ich es kaufe, bin ich auch dafür verantwortlich.
Danke dafür.