Konsumenten-Beeinflussung durch Neuromarketing

Konsumenten-Beeinflussung durch Neuromarketing

Eine der größten mit dem Stichwort Neuromarketing verbundenen Ängste ist die direkte Konsumentenbeeinflussung, oder wie ich es gern nenne: Die Angst vor Konsum-Zombies. Bislang bin ich der Antwort auf die Frage nach direkter Konsumentenbeeinflussung aus dem Weg gegangen. Zeit, das zu ändern.

Um dem Thema Konsumentenbeeinflussung gerecht werden zu können, muss meiner Meinung nach zwischen der theoretischen Möglichkeit der Konsumentenbeeinflussung und der Praktikabilität derselben unterschieden werden. Beginnen wir mit der theoretischen Möglichkeit:

Kann man die Prozesse im Hirn eines anderen Menschen direkt willentlich beeinflussen?

Manch einen mag die Antwort auf diese Frage schockieren, aber: Ja, man kann.

Die Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn beruht auf zwei Prinzipien, nämlich auf elektrischen und auf chemischen Signalen. Beide kann man manipulieren, ohne dass man den Schädel öffnen müsste. Hierzu hat die Neurowissenschaft unterschiedlichste Methoden entwickelt. Wie ich schon in meinem Beitrag zur reverse inference dargelegt habe, ist der Blick darauf, wie sich bestimmte Prozesse im menschlichen Gehirn bei bestimmten Aufgaben verändern, nur eine Seite der Medaille namens “Kausalität”. Um wirklich verstehen zu können, wie das Gehirn arbeitet, muss man auch testen, wie die Beeinflussung des neuronalen Geschehens den Prozess beeinflusst.

Eine Möglichkeit dies zu tun, ist die transkranielle Magnetstimulation, oder kurz: TMS.

Konsumentenbeeinflussung durch TMSBeim TMS wird mittels elektomagnetischer Induktion eine kurzzeitige elektrische Potenzialänderung in schädelnahen Hirnarealen erreicht. Alles, was es dazu braucht, ist eine 8-förmige Metallspule (auf dem Bild links zu sehen), die den Probanden oberhalb der zu stimulierenden Areale an den Kopf gehalten wird. Je nachdem, welche Regionen man wie stimuliert, kann man Prozesse initiieren (z.B. die Bewegung eines Fingers oder der Hand), laufende Prozesse optimieren oder inhibieren (z.B. den Gedächtnisabruf) oder Einfluss nehmen auf noch zu initiierende Prozesse in der nahen Zukunft. Um es ganz klar zu sagen: Theoretisch sollte es möglich sein, mittels TMS die Verarbeitung von marketingrelevanten Informationen im eigenen Sinne zu beeinflussen, auch wenn mir noch keine Studie bekannt ist, die dies versucht hat. Die an der Preiswahrnehmung beteiligte Insula, beispielsweise, habe ich selbst schon mittels TMS stimuliert – allerdings wurde bei meinem Experiment der Einfluss der Stimulation auf die Preiswahrnehmung nicht abgefragt…

Eine Alternative zu TMS ist die transkranielle Gleichstromstimulation (engl.: transcranial direct-current stimulation),  kurz tDCS genannt.

Auch tDCS nimmt Einfluss auf die elektrischen Signale im Gehirn, allerdings nicht durch elektromagnetische Induktion, sondern durch einen schwachen Gleichstrom. Hierzu werden den Probanden zwei Elektroden an den Kopf geklebt, zwischen denen eine schwache Spannung anliegt. Was ein bisschen nach elektrischem Stuhl klingt, ist ein vor allem in der Behandlung von Depressionen immer häufiger verwendetes, nebenwirkungsarmes Verfahren, das seinen Weg auch in die Grundlagenforschung gefunden hat. Ich selbst habe keine Erfahrungen mit tDCS, weiß aber aus Studien, dass man mit diesem Verfahren ähnlich wie mittels TMS Einfluss auf verschiedene kognitive Prozesse nehmen kann. Auch hier gilt also, die direkte Konsumentenbeeinflussung wäre prinzipiell möglich.

Neben den Möglichkeiten durch TMS und tDCS die elektrischen Signale zu beeinflussen, kann man auch durch die Gabe von Hormonpräparaten die chemischen Hirnsignale manipulieren. Hierzu gibt es sogar erste Studien, die das in einem Marketing-Kontext ausprobieren (z.B. Lin, Grewal, Morin, Johnson & Zak, 2013). Das von Lin und Kollegen verwendete Hormon Oxytocin ist bekannt dafür, Vertrauen zu stiften und Hilfsbereitschaft zu fördern. Durch ein Nasenspray verabreicht, könnte es theoretisch am point-of-sale großen Einfluss entwickeln. Auch andere Hormone wurden und werden verabreicht, um das Verhalten von Menschen zu modifizieren – wie jedes Jahr beim Start der Tour de France in der Tagespresse zu lesen. Ob sie wünschenswerte Effekte auf den Marketingerfolg haben, müsste man im Einzelnen testen – schließlich gibt es zahlreiche Neurotransmitter, die noch nicht ausreichend untersucht wurden. Dass Hormonpräparate direkte Konsumentenbeeinflussung ermöglichen, steht jedoch zweifelsfrei fest.

Ist diese Form der Konsumentenbeeinflussung praktikabel?

Wenn ihr das nächste mal im Supermarkt an der Kasse steht und ein freundlicher Verkäufer mit einer kleinen 8-förmigen Keule ankommt und euch bittet doch mal kurz still zu halten, es tut auch garantiert nicht weh, dann solltet ihr in der Tat vorsichtig sein. Gleiches gilt, wenn der Verkäufer ein paar Elektroden und einen großen, medizinisch aussehenden Kasten unter den Arm geklemmt hat. Aber seien wir ehrlich: Konsumentenbeeinflussung durch TMS und tDCS in real life Situationen ist quasi ausgeschlossen, da das kein normaler Kunde mitmachen würde. Und selbst wenn ein Händler es schaffen würde, seine Konsumenten unter eine TMS Keule zu bekommen, die Kosten der Anwendung (ganz zu Schweigen von der Anschaffung) stehen in keinerlei Verhältnis zum erwartbaren Gewinn. Auf den Punkt gebracht: Meiner Meinung nach sind TMS und tDCS zur Konsumentenbeeinflussung nicht praktikabel!

Etwas anders liegt die Sache bei Hormonpräparaten. Sicher, kein Kunde würde sich vor dem Besuch eines Kaufhauses eine Spritze verabreichen lassen, aber wer hätte etwas gegen den kostenlosen Test eines neuen Nasensprays einzuwenden? Wer freut sich nicht, wenn durch die Klimaanlage ein angenehmer Duft verstömt wird?

Ich weiß nicht, wie teuer Hormonpräparate sind und ob sich ihr Einsatz rechnen würde. Ich weiß auch nicht, ob ihr Einsatz legal wäre. Sollte da jemand über mehr Informationen verfügen, wäre ich über einen Kommentar oder eine Email sehr dankbar. Aber ganz grundsätzlich wäre der Einsatz von Hormonpräparaten zur Konsumentenbeeinflussung nicht nur theoretisch möglich, sondern auch (in begrenztem Maße) tatsächlich umsetzbar.

Werden wir jezt alle zu Konsum-Zombies?

Dieser Beitrag soll zeigen, dass die Möglichkeiten einer direkten Konsumentenbeeinflussung zwar begrenzt, aber dennoch existent sind. Die Angst davor, dass wir zukünftig nur noch Produkte kaufen, die wir nicht haben wollen, ist aber dennoch übertrieben – zumindest wenn man unser derzeitiges Einkaufsverhalten als Maßstab nimmt. Die wenigen Studien, die den Einfluss von Hormonpräparaten auf Marketingprozesse untersuchen, sind sich weitgehend darin einig, dass die Effekte nicht sehr groß sind. Die oben zitierte Studie von Lin und Kollegen (2013) zeigt beispielsweise, dass die Gabe von Oxytocin die Spendenbereitschaft ihrer Probanden zwar signifikant erhöhte und im Mittel 56% mehr Geld gespendet wurde als in der Placebogruppe. Dieser hohe Prozentsatz täuscht jedoch darüber hinweg, dass es sich nach wie vor um Centbeträge handelte (zur Wirkung von Zahlen, siehe diesen Beitrag).

Kaufentscheidungen bleiben multikausal.

Vom Konsum-Zombie sind wir – Gott sei Dank! – noch weit entfernt. Und wenn es politisch gewollt sein sollte, wäre es ein leichtes, die Nutzung von Hormonpräparaten zu Marketingzwecken zu verbieten – sofern es denn überhaupt je legal gewesen ist.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Auch wenn es theoretisch möglich ist mittels neurowissenschaftlicher Methoden wie TMS und tDCS direkt auf Produktpräferenzen und Kaufentscheidungen einzuwirken, ist diese Form der Konsumentenbeeinflussung wenig praktikabel. Anders sieht es aus, wenn man an Manipulationen durch Hormonpräparate denkt. Diese wirken zwar unspezifischer, sind dafür aber realisierbar – sofern das Gesetz es zulässt.

Referenzen

Lin, P.-Y., Grewal, N. S., Morin, C., Johnson, W. D., & Zak, P. J. (2013). Oxytocin Increases the Influence of Public Service Advertisements. PLoS ONE 8(2): e56934. doi:10.1371/journal.pone.0056934

 

Artikelbild auf der Basis eines Fotos von Uschi Dreiucker / pixelio.de