Neu ist immer besser! Oder nicht?

Neu ist immer besser! Oder nicht?

Fans der Serie “How I met your mother” kennen diesen Satz: “Neu ist immer besser!” Dieses Motto stammt von Barney Stintson, einem der Hauptcharaktere der Serie, scheint aber auch im Marketing sehr beliebt zu sein. Wie sonst lässt sich erklären, dass lieb gewonnene aber in die Jahre gekommene Produkte und Marken des Öfteren ein “Re-Design” spendiert bekommen. Ein paar Beispiele:

Bei Lucky Strike, einer der bekanntesten Zigarettenmarken, hat man sich dazu entschlossen den Auftritt zu modernisieren. Eine Gegenüberstellung von altem und neuem Design findet ihr hier.

Tropicana, die Orangensaftmarke der PepsiCo, hat ebenfalls ein neues Design verpasst bekommen, wie hier zu sehen.

Überhaupt scheint Pepsi nach dem Motto “Neu ist immer besser” zu handeln, wie die Entwicklung und vor allem die häufige Veränderung des Pepsi Logos nahe legt. Und allzu schlecht sind sie damit nicht gefahren, wenn man den Zahlen glaubt. Zwar ist Pepsi immer noch “nur” die Nummer 2 hinter Coca Cola – auch was die Markenstärke betrifft – aber der Abstand schmilzt.

Stimmt das Motto also? Ist neu wirklich immer besser?

Neu ist immer besser – Was neuroökonomisch dafür spricht

In einem meiner Beiträge zur menschlichen Emotionswelt habe ich bereits erwähnt, dass eine der grundlegenden Antriebsfedern des Menschen seine Neugier ist. Schon das Wort “Neugier” selbst legt ja nahe, dass wir “nach Neuem gieren”, dass uns ein Verlangen nach neuen Erfahrungen antreibt. Genau dieses Verlangen, durch Norbert Bischofs (1989) Modell postuliert, durch Jaak Panksepp (2004)  experimentell nachgewiesen, wird durch “Neues” gestillt.

110stefan / pixelio.de

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Die modernen Neurowissenschaften tun sich allerdings bislang schwer damit, Neugier genauer zu untersuchen – vor allem weil es schwierig ist, Neugier experimentell zu manipulieren. Ein der wenigen Studien zum Thema, die auch als Beleg für das Motto “Neu ist immer besser” interpretiert werden kann, ist erst letztes Jahr in Frontiers in Behavioral Neuroscience erschienen. Jepma, Verdonschot, van Steenbergen, Rombouts und Nieuwenhuis (2012) präsentierten ihren Probanden erst verschmierte, dann klar erkennbare Bilder und erfassten mittels funktioneller Magnetresonanztomografie die währenddessen aktiven Hirnbereiche. Waren die Bilder noch verschmiert, was visuelle Neugier induzieren sollte, war Aktivität in der anterioren Insula und im anterioren cingulären Kortex (ACC) beobachtbar. Diese beiden Hirnregionen gehören zum menschlichen Emotionsnetzwerk und sind im Fall der Insula unter anderem mit intensiv erlebten emotionalen Zuständen (positiv wie negativ!), im Fall des ACC mit der Bearbeitung und Lösung kognitiver Konflikte assoziiert. So gesehen ergibt sich also ein schönes Gesamtbild: Perzeptuelle Neugier rekrutiert Netzwerke, die bei intensivem emotionalem Erleben und Uneindeutigkeit/Unklarheit aktiv werden.

Für meine Diskussion viel relevanter ist aber das zweite Ergebnis von Jepma und Kollegen (2012), nämlich die Hirnaktivität bei Befriedigung der Neugier. Wurde nämlich aufgelöst, was sich hinter dem verschmierten Bild verbarg, war das so genannte Striatum aktiv, welches wie der Nucleus accumbens zum Belohnungsnetzwerk gezählt wird. Dies legt nahe, dass befriedigte Neugier als überaus angenehm empfunden wird (aber wie immer gilt: Vorsicht mit reverse inferences!). Ein weiterer Schwerpunkt neuronaler Aktivität wurde im Hippocampus nachgewiesen, einer Art Schnittstelle des menschlichen Gedächtnisses. Dies legt nahe, dass perzeptuell neue Stimuli (beispielsweise ein neues, die Neugier befriedigendes Produkt) direkt im Gedächtnis abgespeichert werden.

Neu ist immer besser – Was neuroökonomisch dagegen spricht

Betrachtet man Norbert Bischofs Modell im Detail stellt man fest, dass Neugier erstens nur eines von mehreren Motiven ist und zweitens auch nur einer von zwei Polen (der positive!) des Erregungssystems. Dies bedeutet einerseits, dass es noch eine ganze Reihe anderer Motivsysteme gibt, die durch Neuheit nicht angesprochen werden – ob neu oder nicht ist in diesen Fällen erstmal unwichtig, da andere Bewertungskriterien von Bedeutung sind. Eine neue Versicherung (Sicherheitsmotiv) oder ein neues Bezahlsystem (Geltungsmotiv) sind von vornherein weniger interessant als ein neuer Nachtclub (Erregungsmotiv).

Andererseits heißt das aber auch, dass ein Zuviel an Neuheit schädlich sein kann, nämlich dann, wenn es zu Überdruss und Angst führt. Ein Beispiel? Heute gehören Eisenbahnen zu unserem Alltag, sie sind eines der wichtigsten Transportmittel geworden. Als die ersten Eisenbahnen aber in Betrieb genommen wurden, machten der Lärm und – man mag es kaum glauben – die unglaubliche Geschwindigkeit (30-40 km/h) den Menschen Angst. Kein Wunder: Nie zuvor hatte die breite Öffentlichkeit einem solchen Stahlkoloss gegenüber gestanden. Dasselbe Prinzip gilt auch heute noch – wie man beim Thema Nanotechnologie oder den immer wieder diskutierten gentechnisch veränderten Lebensmitteln sieht.

Noch etwas komplizierter wird die Sache, wenn wir von Neuheit im Sinne einer Veränderung bereits bestehender Objekte reden – wie beispielsweise beim erwähnten Re-Design des Lucky Strike Logos zu beobachten. Wird ein Logo oder Packungsdesign ohne objektiven Grund zu stark verändert, erregt das zwar unter Umständen die Aufmerksamkeit der Kunden und erschließt neue Zielgruppen. Bestehende Kunden verlieren jedoch ein wichtiges, weil vertrautes, Identifikationsmerkmal. Dies kann dazu führen, dass sie das Produkt nicht mehr erkennen und im Supermarkt einfach daran vorbei laufen (Tropicana lässt grüßen). Viel schlimmer ist jedoch, dass jede Veränderung am Sicherheitsmotiv und damit am Vertrauen nagt, welches Bestandskunden gegenüber mühsam aufgebaut wurde.

Neu oder alt – das richtige Maß

Gabriele Planthaber / pixelio.de

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Bei jeder Neuerung sollte man sich die Frage stellen, was erreicht werden soll. Neuerungen aktivieren das Erregungssytem der Kunden, was gut ist, wenn auch das Gesamtkonzept in diese Richtung geht. Ohne Gesamtkonzept sind Neuerungen hingegen mit Vorsicht zu genießen, da ein Re-Design nur um der Modernisierung willen schnell zur Abhängigkeit von Moden und damit zu wahrgenommener Beliebigkeit führt.

Neurowissenschaftliche Messmethoden wie das EEG – und damit schließt sich der Kreis von den eben diskutieren neuroökonomischen Erkenntnissen zu den in diesem Blog behandelten Techniken des Neuromarketing – können dazu eingesetzt werden zu untersuchen, ob ein Stimulus vom Gehirn in der gegebenen Form erwartet wurde, oder ob er unerwartet ist und demzufolge das Erregungssystem anspricht. Auch wenn mir persönlich noch keine Studie zu diesem Thema bekannt ist, kann ich mir gut vorstellen dass es so möglich ist zu testen, ob eine Markenlogo-Veränderung subtil genug ist, um auch von Stammkunden akzeptiert zu werden.

In jedem Fall ist das Motto “Neu ist immer besser!” nur die halbe Wahrheit. Beim nächsten Marken Re-Design oder Relaunch also besser auf das angesprochene Motivsystem achten!

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

“Neu ist immer besser!” – dieses Motto stimmt nur bedingt. Neugier ist ein grundlegendes Motiv, daher wirken neue Produkte, Marken und Designs tatsächlich (emotional) ansprechend. Zuviel Neuheit kann aber auch zu Überdruss und Ablehnung führen. Das richtige Maß hängt von der Zielgruppe ab – und lässt sich neurowissenschaftlich messen.

Referenzen

Bischof, N. (1989). Das Rätsel Ödipus. München: Piper

Jepma, M., Verdonschot, R. G., van Steenbergen, H., Rombouts, S. A. R. B. & Nieuwenhuis, S. (2012). Neural mechanisms underlying the induction and relief of perceptual curiosity. Frontiers in Behavioral Neuroscience, 6: 5.

Panksepp, J. (2004). Affective Neuroscience: The Foundations of Human and Animal Emotions. Oxford: University Press