Neuromarketing: Auf der Suche nach dem Kaufknopf?

Neuromarketing: Auf der Suche nach dem Kaufknopf?

Als mit der Untersuchung von Markenrepräsentationen im menschlichen Gehirn (McClure et al., 2004) erstmalig neurowissenschaftliche Methoden eingesetzt wurden, um Fragestellungen aus dem Marketing zu untersuchen, löste dies eine Reihe ganz unterschiedlicher Reaktionen aus. Werbetreibende erhofften sich endlich einen Mechanismus entdecken zu können, der ihnen zuverlässig sagt, was Konsumenten zum Kauf verleitet und was nicht. Konsumenten und Verbraucherschützer ängstigte genau diese Vorstellung.

Die Metapher des Kaufknopfes war geboren.

Innerhalb von nur zehn Jahren wurden über ein Dutzend Studien publiziert, die sich der Frage nach der Vorhersagbarkeit von Kaufentscheidungen widmeten. In einem Punkt stimmen sie alle überein: Einen Kaufknopf gibt es nicht.

Warum es keinen Kaufknopf gibt – und niemals geben wird

Wer sich ein bisschen mit Neurophysiologie oder Biologie beschäftigt wird wissen, dass unser Gehirn nicht so funktioniert. Es gibt kein „Auto-Fahr-Areal“, keine „Computer-Benutzungs-Region“ und kein „Netzwerk zum Lesen von Landkarten“. Die Architektur unseres Gehirns ist viel älter als diese Tätigkeiten – und für alle mir bekannten „modernen“ Prozesse bestens gerüstet. Erstens lassen sich alle genannten Verhaltensweisen in grundlegende psychologische Funktionen zergliedern: Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Motorik, usw. Ihr komplexes Zusammenspiel ist absolut hinreichend, die genannten Fähigkeiten zu erklären, die Ausbildung neuer Hirnregionen absolut nicht notwendig. Zweitens lehrt uns die Evolutionstheorie, dass sich nur solche Mutationen langfristig durchsetzen, die einen Einfluss auf die evolutionäre Fitness, also auf die Vermehrung des die entsprechende Fähigkeit kodierenden Genoms haben.

Ein neurophysiologischer Kaufknopf trägt weder substantiell zur Fitness bei, noch repräsentiert er irgendeine Funktion, die über die bestehende Architektur hinaus ginge. Es ist daher äußerst unwahrscheinlich (um nicht zu sagen: komplett auszuschließen), dass die Neurowissenschaft jemald einen Kaufknopf im Kopf von Konsumenten entdecken wird.

Verhaltensvorhersage auch ohne Kaufknopf

Untersuchungen, die sich damit beschäftigen, welche Hirnareale am Kaufverhalten von Menschen beteiligt sind – hier sei beispielhaft auf einen früheren Beitrag verwiesen, in dem eine entsprechende Studie von Knutson et al. (2007) vorgestellt wird – finden immer wieder Ativität in den gleichen Netzwerken:

Im Belohnungssystem, das umso stärker aktiv wird, je attraktiver ein Produkt auf den Konsumenten wirkt…

in der Insula, die etwas populärwissenschaftlich mit “Preisschmerz” in Verbindung gebracht wird…

und im medialen Präfrontalkortex, einer Art Integrationsschaltstelle im menschlichen Gehirn.

Keines dieser Netzwerke ist ein Kaufknopf. Keine dieser Hirnregionen ist exklusiv für Kaufentscheidungen zuständig. Jede dieser drei Strukturen ist aus der Grundlagenforschung, gänzlich losgelöst vom ökonomischen Entscheidungsverhalten, bekannt.

Aber: Aktivität in jedem dieser Areale kann überzufällig vorhersagen, ob ein Kunde, der ein bestimmtes Produkt betrachtet, einen Kauf tätigen wird oder nicht (Knutson et al., 2007). Neuromarketing funktioniert, wenngleich auf einer wesentlich komplexeren Ebene, als sich das manch einer vielleicht wünscht.

Und genau deshalb hat die Methapher des Kaufknopfs ausgedient.

Why go neuro…?

Die Betrachtung neuronaler Netzwerke den großen Vorteil, dass man Informationen darüber erhält, an welcher Stelle ein konkretes Angebot optimiert werden kann. Starke Aktivität in der Insula zum Beispiel kann dahingehend interpretiert werden, dass den Konsumenten irgendetwas stört – was nicht zwangsläufig der Preis sein muss. Es gilt die Störquelle zu identifizieren, oder zumindest die Attraktiviät des Produktes auf andere Weise (z.B. Nutzenversprechen) zu erhöhen, will man ein vom Kunden als fair empfundenes Angebot unterbreiten.

Natürlich können solcherlei Informationen auch direkt beim Konsumenten erfragt werden. Doch das Gehirn macht mehr, als uns bewusst ist, und nicht alle für einen Kauf relevanten neuronalen Prozesse sind dem Bewusstsein zugängig. Neurowissenschaftliche Methoden können hier weiterhelfen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Einen Kaufknopf gibt es nicht. Stattdessen sind verschiedene Hirnregionen an Kaufentscheidungen beteiligt. Deren Aktivität kann man messen und darauf aufbauend vorhersagen, ob eine Kaufentscheidung stattfinden wird, und wenn nicht, an welcher Stelle das Angebot als nicht attraktiv empfunden wird. Dies ist der wahre Nutzen von Neuromarketing – ganz ohne Kaufknopf.

Referenzen

Knutson, B., Rick, S., Wimmer, E., Prelec, D. & Loewenstein, G. (2007). Neural predictors of purchases. Neuron, 53, 147-156.

McClure, S. M., Li, J., Tomlin, D., Cypert, K. S., Montague, L. M., & Montague, P. R. (2004). Neural Correlates of Behavioral Preference for Culturally Familiar Drinks. Neuron, 44, 379-397.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Tim Reckmann / pixelio.de