Neuroökonomie: Kaufentscheidungen sind komplex

Neuroökonomie: Kaufentscheidungen sind komplex

Eigentlich ist die Erkenntnis ja trivial, denn jeder, der schonmal vor einem Regal im örtlichen Supermarkt gestanden hat, weiß: Kaufentscheidungen sind komplex. Trotzdem ist es immer wieder spannend zu sehen, wie sich diese Komplexität neuronal abbildet.

Um zwei Studien, die genau dies tun, soll es heute gehen.

Ambler et al. (2004): Neuronale Korrelate von Kaufentscheidungen

Bei meiner Suche nach den Anfängen der neuroökonomischen Forschung bin ich auf eine Studie gestoßen, die in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist: Tim Ambler und seine Kollegen (2004) setzten z.B. keine der heute verbreiteten Methoden wie fMRT oder EEG ein, um ihre Probanden zu untersuchen. Stattdessen vertrauten sie der sogenannten Magnetoenzephalografie (MEG), einer Technik, die auf der Messung aktivitätsinduzierter Veränderungen von magnetischen Feldern im Gehirn beruht. Sie bietet räumlich wie zeitlich hochaufgelöste Informationen über neuronale Verarbeitungsprozesse, ist jedoch technisch aufwendig und daher sehr teuer. Im Neuromarketing spielen MEGs daher faktisch keine Rolle mehr.

Ein zweiter bemerkenswerter Punkt ist, dass die Autoren versuchten der Komplexität von Kaufentscheidungen Rechnung zu tragen: Sie zeigten ihren Probanden zunächst ein Video vom Innenraum eines Supermarkts, um eine typische Warenpräsentation zu simulieren. Nach jedem Warenregal wurden den Probanden dann drei Bilder von Produkten aus diesem Regal gezeigt und die Probanden sollten entscheiden, ob sie eines der drei abgebildeten Produkte kaufen würden, und wenn ja, welches. So flossen mögliche Alternativangebote, in Store Marketingmaßnahmen, die Vielfalt des Warenangebots u.s.w. in die erhobenen Daten mit ein.

Die neuronale Aktivität während Kaufentscheidungen verglichen Ambler et al. (2004) mit einer einfachen Größenentscheidung: Um Gedächtniseffekte und affektive Beurteilungen abbilden und gleichzeitig rein visuelle Verarbeitungsprozesse kontrollieren zu können, bekam jeder Proband zum Abschluss des Experiments noch einmal einige Produktbilder zu sehen und sollte angeben, welches der drei gezeigten Produkte am kürzesten ist. Vier unterschiedliche Hirnregionen zeigten zu unterschiedlichen Zeitpunkten signifikante Effekte im Zusammenhang mit Kaufentscheidungen:

1. Bereits etwa 90ms nach Erscheinen der Produktbilder konnten Ambler et al. (2004) verstärkte Aktivität über occipitalen Hirnarealen nachweisen. Diese liegen im hinteren Teil des Gehirns, quasi oberhalb des Nackens, und dinen der Verarbeitung visueller Informationen. Obwohl die Kontrollaufgabe (Größeneinschätzung) stärker von visuellen Informationen abhängen sollte als Kaufentscheidungen, führte letztere offensichtlich zu vermehrter Aktivität im visuellen System. Die Autoren interpretieren diesen Befund als Hinweis auf eine frühe Vorbereitung von späteren Prozessen, denn

ro18ger / pixelio.de

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2. Etwa 350ms nach Erscheinen der Produktbilder konnte stärkere Aktivität über temporalen Arealen bei Kaufentscheidungen nachgewiesen werden. Der temporale Kortex liegt seitlich, etwa auf Höhe der Schläfe, und wird u.a. mit semantischer Verarbeitung und Gedächtnisprozessen in Zusammenhang gebracht. Ambler et al. (2004) vermuten daher, dass bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ein Abgleich von visueller Information (Angebot, siehe Ergebnis 1) und Vorerfahrung stattfindet.

3. Etwas überrascht hat mich, dass die Autoren ca. 500ms nach Produktpräsentation Aktivität im Broca Areal nachgewiesen haben – zumindest ist das die wahrscheinlichste Quelle des Signals. Das Broca Areal ist maßgeblich an der Sprachproduktion beteiligt. Die Autoren interpretieren ihr Ergebnis als Hinweis auf stilles Reden bei Kaufentscheidungen, weil frühere Studien zeigen, dass stilles Reden helfen kann schwierige Entscheidungen zu treffen. Die Tatsache, dass die Aktivität im Broca Areal am stärksten war, wenn wenig auffällige Produkte gezeigt wurden, stützt diese Interpretation.

4. Ebenfalls unerwartet war verstärkte Aktivität in parietalen Arealen, knapp 900ms nach der Produktpräsentation. Der parietale Kortex, der in etwa auf Höhe des Hinterkopfs liegt, ist an einer ganzen Reihe psychologischer Prozesse beteiligt, weshalb eine Interpretation schwierig ist. Ambler et al. (2004) selbst schreiben, dass ihr Befund entweder für eine Intergration emotionaler Informationen in den aktuellen Entscheidungsprozess oder ein Aufrechterhalten von Aufmerksamkeitsprozessen spricht. Beides ließe sich mit der Funktion des Parietalkortex erklären.

Knutson et al. (2007): Der Einfluss von Produkt und Preis

Kaufentscheidungen beanspruchen also zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Hirnregionen – ein interessantes, aber letztlich triviales weil ungenaues Ergebnis.

Fünf Jahre später wollten Knutson und Kollegen (2007) daher etwas mehr ins Detail gehen – und trennten in ihrem Studiendesign einige der wahrscheinlich relevantesten Kaufentscheidungsprozesse. Probanden bekamen zunächst nur ein Produkt zu sehen, wodurch Erwartungen und Vorerfahrungen mit dem Produkt angesprochen werden sollten. Dann wurde der Preis des Produkts eingeblendet. Und schließlich musste entschieden werden: Kaufen oder nicht? – wobei am Ende der Studie zufällig eine der Kaufentscheidungen tatsächlich umgesetzt und bezahlt werden musste. Die Studie ist also durchaus dicht an realen Einkaufssituationen angelehnt.

Die Ergebnisse sind dementsprechend sehr aufschlussreich. Insgesamt drei Netzwerke wurden identifiziert, die zuverlässig und zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten vorhersagen konnten, ob Probanden sich für oder gegen ein Produkt entscheiden. Zunächst ist hier der schon vielfach erwähnte Nucleus  Accumbens zu nennen, einem wichtigen Kern des Belohnungssystems. War er während der initialen Produktpräsentation aktiv, war dies ein klares Anzeichen für einen Kauf. Gleiches gilt für den medialen Präfrontalkortex, eine Region, die relativ zuverlässig Präferenzen vorhersagt und an der Integration von Gewinn und Verlustinformation beteiligt ist. Folglich konnte verstärkte Aktivität in dieser Region Kaufverhalten korrekt vorhersagen, allerdings erst dann, wenn die Probanden über Produkt- und Preisinformationen verfügten.

Die Insula schließlich, eine Region, die unter anderem an der Verarbeitung intensiv-körperlich wahrgenommener Gefühle beteiligt sein soll und auf die ich in diesem Beitrag etwas ausführlicher eingegangen bin, erlaubte ebenfalls ab der Preispräsentation eine signifikante Vorhersage des Wahlverhaltens, allerdings in umgekehrter Richtung. Hohe Aktivität ging mit einer Entscheidung gegen das Produkt einher, was die Autoren als neuronalen Indiktor eines Verlustgefühls interpretieren. Immerhin ist die Insula auch an der Schmerzverarbeitung und an Ekelgefühlen beteiligt. Nicht selten wird daher in der populärwissenschaftlichen Literatur von einem “Verlustschmerz” beim Bezahlen gesprochen.

Why go neuro…?

Kaufentscheidungen sind multikausale, vielschichtige Prozesse, und Neuromarketing wird daran nicht das geringste ändern. Studien wie die von Ambler et al. (2004) und Knutson et al. (2007) können aber dabei helfen, die Komplexität zu verstehen und sichtbar zu machen. Ihre Ergebnisse sind zwar eher allgemein, zeigen aber, dass Neuromarketing Studien und Methoden der Komplexität von Kaufentscheidungen Rechnung tragen und somit helfen können, Konsumenten und ihre Wünsche und Bedürfnisse besser zu verstehen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Kaufentscheidungen liegt ein komplexes neuronales Netzwerk bestehend unter anderem aus dem Nucleus Accumbens, der Insula und dem medialen Präfontalkortex zugrunde. Dies verdeutlicht die vielschichtigen Entscheidungsgrundlagen, aufgrund derer ein Kauf eventuell erfolgt oder eben nicht. Zudem spielt die zeitliche Variabilität eine wichtige Rolle. Eine Kombination beider Analyseebenen steht jedoch noch aus.

Referenzen

Ambler, T., Braeutigam, S., Stins, J., Rose, S. & Swithenby, S. (2004). Salience and choice: Neural correlates of shopping decisions. Psychology & Marketing, 21(4), 247-261.

Knutson, B., Rick, S., Wimmer, E., Prelec, D. & Loewenstein, G. (2007). Neural predictors of purchases. Neuron, 53, 147-156.

 

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Veit Kern / pixelio.de