Neuromarketing = Verhaltensvorhersage?

Neuromarketing = Verhaltensvorhersage?

Wenn man als Unternehmer vor die Frage gestellt wird, welcher von sagen wir zwei Werbespots geschaltet werden soll, um neue Kunden zu werben, ist guter Rat teuer. Nach welchem Kriterium entscheidet man? Nimmt man den Spot, der laut Umfrage den Kunden am besten gefällt? Den Spot, der die Werte des Unternehmens aus Sicht des Unternehmers am besten repräsentiert? Den Spot, der in der Herstellung teurer war? Wenn man doch nur vorab irgendwie herausfinden könnte, welcher der beiden Spots effektiver sein wird…

Eine der großen mit Neuromarketing verbundenen Erwartungen ist, dass der Blick ins Gehirn von Konsumenten eine bessere Verhaltensvorhersage ermöglicht (siehe auch The Power of Neuromarketing). Begründete Hoffnung – oder substanzloser Hype?

Verhaltensvorhersage: Wann hören Raucher auf zu rauchen?

Hans Peter Dehn / pixelio.de

Eine Studie, die dieser Frage nachgeht, ist letztes Jahr in der renommierten Zeitschrift “Psychological Science” erschienen. Emily Falk und ihre Kollegen (Falk, Berkman & Lieberman, 2012) untersuchten, ob man mittels neurowissenschaftlicher Methoden und Erhebung einer kleinen Stichprobe den Erfolg einer ganzen Werbekampagne vorhersagen kann. Die Zielgruppe waren Raucher, die mit dem Rauchen aufhören wollten – also ein durchaus nicht-kommerzielles Umfeld. Anders als Rafal Ohme, dessen Studien ich bereits hier und hier besprochen habe, verwendeten Falk und Kollegen kein EEG, sondern genau wie McClure und Kollegen einen Hirnscanner, einen sogenannten Magnetresonanztomographen. Auf die Einzelheiten dieser Methode werde ich in einem späteren Beitrag noch zu sprechen kommen.

Die Studie im Detail

Vom National Cancer Institute ließen sich die Wissenschaftler Werbespots dreier unterschiedlicher Werbekampagnen zuschicken, welche Raucher dazu bringen sollten eine bestimmte Hotline zu anzurufen (1-800-QUIT-NOW). Dann bestellten sie 31 Raucher ins Labor, die die feste Absicht hatten mit dem Rauchen aufzuhören. Diese sahen sich die drei Kampagnen (sowie einige andere Nichtraucher-Spots) an, während ihre Hirnaktivität aufgezeichnet wurde. Abschließend wurden die Probanden befragt, welche Kampagne sie am effektivsten fanden, welche ihnen am besten gefiel, usw.

Zur Verhaltensvorhersage wurde die Aktivität im ventralen medialen Präfrontalkortex herangezogen, eine Region, die bereits in früheren Studien mit individuellen Verhaltensänderungen assoziiert wurde. Dann wurde verglichen: Welches Maß konnte am besten vorhersagen, wie viele Raucher sich bei der Hotline nach Schaltung der einzelnen Werbekampagnen melden? Aktivität im medialen Präfrontalkortex? Aktivität in anderen Bereichen des Gehirns? Die Antworten der befragten Raucher? Oder die Einschätzungen von Branchenexperten?

Neuromarketing = erfolgreiche Verhaltensvorhersage!

Ein Blick auf die Daten zeigte, dass sich Experten und Raucher darin einig waren, welche Kampagne am schlechtesten abschneiden würde. Raucher hatten darüber hinaus einen klaren Favoriten, während sich Experten nicht zwischen den zwei verbleibenden Alternativen entscheiden konnten. Die Aktivierung im medialen Präfrontalkortex erlaubte ebenfalls eine eindeutige Rangreihe der drei Kampagnen zu bilden – allerdings lag hier die Kampagne vorn, die in den Befragungen eindeutig als am ineffektivsten beurteilt worden war.

Ist es noch notwendig zu erwähnen, dass die tatsächlichen Anruferzahlen nach Schaltung der einzelnen Kampagnen dem durch die Aktivität im medialen Präfrontalkortex vorhergesagten Muster entsprachen?

Nur Neuro-Daten erlaubte eine korrekte Verhaltensvorhersage

zoom / pixelio.de

Tatsächlich war die neuronale Aktivität das einzige Maß, welches eine überzufällige Verhaltensvorhersage erlaubte. Sie war etwa doppelt so gut, wie per Zufall zu erwarten. Die Frage nach der eingeschätzten Effektivität der Kampagnen durch die Probanden gehörte zu den drei schlechtesten Prädiktoren – übrigens deutlich schlechter als die Frage danach, welche Kampagne die Raucher am liebsten mochten, und auch deutlich schlechter als bloßer Zufall, was streng genommen auf eine systematische Verzerrrung schließen lässt. In jedem Fall ist es bemerkenswert, dass ein affektives Maß (welche Kampagne hat dir am besten gefallen?) deutlich besser abschnitt, als eine bewusste Einschätzung der Effektivität.

Why go neuro…?

Antiraucherkampagnen mögen nicht unbedingt das typischste Werbematerial im Alltag eines Marketers sein, denn es kommt – vielleicht mehr noch als bei anderen “Produkten” – darauf an, die Betroffenen emotional anzusprechen. Immerhin sprechen wir von einer wirklichen Droge. Es ist aber auffallend, dass es in der vorliegenden Studie theoretisch egal gewesen wäre, ob man Raucher befragt, welche Kampagne ihnen am besten gefällt, oder ob man eine Münze wirft. Schlimmer noch, die Verhaltensvorhersage wäre bei einem Münzwurf sogar besser gewesen, als Raucher die Effektivität der Kampagnen einschätzen zu lassen. Einzig und allein die Aktivität in einem eng umschriebenen Gebiet des medialen Präfrontalkortex erlaubte eine überzufällige Verhaltensvorhersage.

Nicht, dass ihr mich falsch versteht: Befragungen sind wichtig. Aber Befragungen können oft nicht über die Emotionen der Konsumenten und Verbraucher Auskunft geben. Neurowissenschaftliche Methoden können das – in immernoch stark eingeschränktem Maße – schon.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Weder Raucher noch Branchenexperten können in Befragungen einschätzen, welche Werbekampagnen Raucher am ehesten zum Aufhören (oder zu einem ersten Schritt in diese Richtung) animieren. Einzig die Aktivität im medialen Präfrontalkortex erlaubt eine überzufällige Verhaltensvorhersage, wie die Daten von drei wirklich ausgestrahlten Werbekampagnen beweisen. Eins zu null fürs Neuromarketing.

Referenzen

Falk, E. B., Berkman, E. T. & Lieberman, M. D. (2012). From neural responses to population behavior: Neural focus group predicts population-level media effects. Psychological Science, 23(5), 439-445.

 

Artikelbild auf der Basis eines Fotos von A.Dreher / pixelio.de