
Was ist das eigentlich: Neuromarketing?
Mein Interesse an Neuromarketing begann etwa 2011. Aus beruflichen Gründen beschäftigte ich mich mit Anwendungsmöglichkeiten neurowissenschaftlicher Methoden außerhalb der Grundlagenwissenschaft – und stieß auf den Begriff “Neuromarketing”. Neurowissenschaftliche Methoden im Marketing Einsatz? Klang vielversprechend!
Was ist Neuromarketing?
Für mich war die Antwort auf diese zentrale Frage von Anfang an relativ klar: Neuromarketing ist, wenn ein Unternehmen zu einem Neurowissenschaftler kommt (also jemandem, der das menschliche Gehirn erforscht), ihm einen Werbespot oder eine Anzeige in die Hand drückt und ihn bittet, ein paar geeignete Probanden dahingehend zu untersuchen, wie sie den Spot oder die Anzeige wahrnehmen. Praktische, angewandte Neurowissenschaft zum Zweck der Optimierung eines Werbemittels. Das war meine Vorstellung. Ursprünglich.
Denn als ich dann anfing mich einzulesen, stellte ich fest, dass meine Vorstellung zwar zutrifft – aber nicht die einzig mögliche ist. Neuromarketing ist leider kein so klar definierter Begriff wie beispielsweise Neurowissenschaft. Wie sich herausstellte, gibt es mindestens drei unterschiedliche… Vorstellungen.
Neuromarketing als empirsche Marktforschung
Was mich an Neuromarketing im Sinne meiner ursprünglichen Vorstellung am meisten begeistert hat, war die Aussicht, dass sie außerhalb des Elfenbeinturms namens “Wissenschaft” stattfindet. Neuromarketing soll Marketing optimieren – ganz konkret, auf den Einzelfall bezogen. Wie kann Werbespot A von Firma X verbessert werden? Welche Details an Produkt Y müssen geändert werden, damit die Konsumenten es annehmen? Wo liegen vielleicht versteckte Potenziale in einem gegebenen Produkt?
Es stellte sich heraus, dass es tatsächlich einige Firmen gibt, die Neuromarketing in Form von Messdienstleitungen anbieten. Als Unternehmen kann man diese Firmen damit beauftragen, die verschiedenen im Zusammenhang mit Produktentwicklung, -design und -marketing auftretenden Fragestellungen mittels neurowissenschaftlicher Methoden zu untersuchen. Aus der Information, wie die Gehirne potenzieller Konsumenten die getesteten Produkte und Werbemittel verarbeiten, lassen sich dann Rückschlüsse auf Möglichkeiten zur Optimierung ziehen.
Zumindest ist das die Hoffnung (siehe auch: The Power of Neuromarketing).
Neuroökonomie: Neuromarketing als Grundlagenwissenschaft
Meine ursprüngliche Idee von Neuromarketing war es, konkrete Einzelfälle zu untersuchen. Es stellte sich aber heraus: Andere orientieren sich an höheren Zielen. Ob ein Unternehmen nun Autos, Nahrungsmittel oder Seife verkauft, es gibt eine zentrale Gemeinsamkeit: Die Unternehmen richten sich letztendlich allesamt an Menschen. Und obwohl wir wissen, dass sich Menschen im Einzelfall stark unterscheiden können, wissen wir auch, dass ihre Gemeinsamkeiten überwiegen.
Die sogenannte Neuroökonomie (oft auch “Consumer Neuroscience”) ist eine Vorstellung von Neuromarketing, bei der es wie in meiner ursprünglichen Vorstellung darum geht neurowissenschaftliche Methoden einzusetzen, um Marketingmaßnahmen zu optimieren. Es geht jedoch nicht um Einzelfälle – Neuroökonomie agiert unabhängig von einzelnen Firmen. Neuroökonomen geht es um die dem Marketing zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten, um allgemeingültige Regeln. In einem Satz: Neuroökonomie ist Grundlagenwissenschaft.
Wie muss ein Preis gestaltet sein, damit er von Kunden akzeptiert wird – unabhängig vom gegebenen Produkt?
Stimmt es, das Sex sells? Immer? – oder ist das nur ein Mythos?
Worin unterscheiden sich starke von schwachen Marken und kann man diese Unterschiede messen?
Die Erkenntnisse, die von der Neuroökonomie gewonnen werden, haben gegenüber den Erkenntnissen von Neuromarketing nach meiner ursprünglichen Vorstellung einen ganz gravierenden Vorteil: Sie können von jedem Praktiker genutzt werden, weil sie allgemeingültig sind. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass sie einen Nachteil haben: Sie sind nicht sehr spezifisch.
Neuroökonomie ist Wissenschaft. Neuromarketing ist Dienstleistung.
NeuroCounseling
Die dritte Vorstellung von Neuromarketing, die ich gern NeuroCounseling nennen möchte, teilt das Ziel von Neuroökonomen und Neuromarketern – auch sie will Marketingmaßnahmen optimieren. Allerdings geht sie einen anderen Weg. Beim NeuroCounseling werden keine Probanden ins Labor bestellt, keine Messungen durchgeführt – NeuroCounseling bedient sich bei der bereits vorhandenen neurowissenschaftlichen Literatur und bezieht deren Schlussfolgerungen aufs Marketing.
Ein Beispiel: Zahlreiche neurowissenschatliche Studien belegen, dass das menschliche Gehirn emotionalen Inhalten mehr Aufmerksamkeit schenkt, diese schneller lernt und langsamer wieder vergisst, als nicht-emotionale Inhalte (z.B. LaBar & Cabeza, 2006). Werbung sollte da keine Ausnahme sein. Was liegt also näher, als Werbung möglichst emotional zu gestalten?
Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, braucht man nicht eine einzige Studie durchzuführen – denn das haben in der Vergangenheit schon zahlreiche andere Neurowissenschaftler erledigt. Die (Fach-)Literatur ist voller Studien, die zeigen, wie unser Gehirn arbeitet, welche Stimuli Aufmerksamkeit generieren und unter welchen Bedingungen Entscheidungen in die eine oder andere Richtung fallen. Wer sich als Praktiker für Optimierungsmöglichkeiten interessiert, ist gut beraten die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns zu berücksichtigen.
Viele (Marketing-)Probleme lassen sich bereits durch ein Studium der Fachliteratur lösen, ohne dass ein einziger Konsument ins Labor kommen muss. Das Wissen ist da. Man muss es nur finden und richtig anwenden. Und das ist die Aufgabe des NeuroCounseling.
Welche Definition ist nun die richtige?
Ganz egal, mit welcher Vorstellung und welchem Anliegen man sich dem Thema nähert: Alle drei hier vorgestellten Ansätze haben ihre Daseinsberechtigung, alle drei verbinden auf ihre Art Neuro (also das Wissen um Vorgänge im menschlichen Gehirn) mit Marketing. Man sollte nur stets im Hinterkopf behalten, dass es diese unterschiedlichen Vorstellungen von Neuromarketing gibt. Das erleichtert den Zugang zum Thema und hilft gezielt den für eine spezifische Fragestellung vielversprechendsten Ansatz zu finden.
Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern
“Neuromarketing” ist nicht klar definiert. Für manche ist es neurowissenschaftlich fundierte, am Einzelfall orientierte, empirische Marktforschung. Für andere ist es Grundlagenwissenschaft auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten im Marketing (Neuroökonomie). Wieder andere sehen darin das Anwenden von neurowissenschaftlich untersuchten Gesetzmäßigkeiten auf Fragestellungen des Marketings. Die eine wahre Definition gibt es nicht.
Referenzen
LaBar, K. S. & Cabeza, R. (2006). Cognitive neuroscience of emotional memory. Nature Reviews Neuroscience, 7, 54-64.
Bis jetzt war “Neuromarketing” für mich eher das, was hier unter NeuroCounseling beschrieben wird. Danke für den guten Artikel, er hat meine Sichtweise auf das Thema deutlich vergrößert. Und es lässt schon erahnen, wieviel Potenzial auf diesem Gebiet vorhanden ist.
Hallo und danke für das Kompliment.
Das, was ich als als NeuroCounseling bezeichne, ist tatsächlich das, was meines Wissens am ehesten “im Feld” angekommen ist – was allerdings oft zu der Beschwerde führt, dass ja eigentlich gar keine neuen Erkenntnisse gewonnen, sondern nur alte Erkenntnisse mit neuen (Hirn)Bildchen versehen werden. Und so ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf ja auch nicht.
Ansonsten stimme ich dir zu: Das meiner Meinung nach größte Potenzial – und auf diesem Weg bin ich auch tatsächlich erstmalig auf das Thema gestoßen – steckt in dem, was ich als Neuromarketing im engeren Sinn bezeichne, da es tatsächlich Aussagen für den Einzelfall ermöglicht. Und diese Form des Neuromarketings ist, zumindest in Deutschland, bislang noch nicht wirklich angekommen, soweit ich das beurteilen kann.
Hallo sehr geehrter Autor,
interessanter Artikel, aber ich persönlich sehe den Begriff “Gesetzmäßigkeiten” sehr fragwürdig. Die Erkenntnisse entsprechen dem heutigen Stand der Forschungsergebnisse und damit dem, was wir sehen können oder wollen, eine Gesetzmäßigkeit reden wir uns ein, um es akzeptabler zu machen in unserer manipulativen Welt und den Konsumenten als Objekten am Markt.
Herzlichst Albrecht Baum
Hallo Herr Briesemeister,
ich finde den Artikel und insbesondere den Punkt der Neuroökonomie sehr interessant erläutert. Gerne würde ich mit Ihrer Erlaubnis 2-3 Sätze als Zitate in meine Erklärung unter http://www.betriebswirtschaft-lernen.net/erklaerung/neuromarketing/ einbinden.
Wäre das okay für Sie?
Viele Grüße
Hallo Robert,
danke für deinen Kommentar.
Klar kannst du die Seite zitieren.
Viel Erfolg beim Aufbau deiner Seite,
liebe Grüße,
Benny