Online- und Offlinehandel aus Neuromarketing Sicht

Online- und Offlinehandel aus Neuromarketing Sicht

In letzter Zeit habe ich mich, teils aus Eigeninteresse, teils wegen spezifischer Kundenbedürfnisse, immer wieder mit der Frage nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Online- und Offlinehandel beschäftigt. Dabei geht es um Fragen wie:
…was kann der Offlinehandel tun, um im Wettbewerb mit dem Onlinehandel zu bestehen?
…was kann der Onlinehandel tun, um weiterhin zu wachsen und an Bedeutung zu gewinnen?
…was können Online- und Offlinehandel voneinander lernen?

Und vor allem: Was kann man aus Neuromarketing Sicht dazu sagen?

Hier ein paar Antworten.

Neuromarketing = Die Sichtweise des Kunden(hirns)

free-market-182054_640Zunächst ist es notwendig zu verstehen, dass Neuromarketing immer vom Standpunkt des Kunden aus denkt. Wie nimmt der Kunde das Unternehmen oder das Produkt wahr, was sind seine spezifischen Erwartungen? Und wenn man diese Perspektive einnimmt, wird relativ schnell klar:
Kunden machen keinen Unterschied, ob sie ein Produkt online oder offline kaufen.
Aus ihrer Sicht ist ein Unternehmen ein Unternehmen. Sie erwarten den gleichen Service, egal ob sie einen physischen Einkaufswagen vor sich herschieben oder mit der Maus durch das Netz navigieren. Deswegen eignet sich auch nicht jedes Geschäftsmodell dafür, in Online- und Offlinehandel umgesetzt zu werden.

Was sich so einfach anhört, entpuppt sich für viele Unternehmen als große Hürde, denn diese Sichtweise bedeutet, dass ich ein Online gekauftes Produkt gern beim Laden um die Ecke abholen können möchte. Dass ich es eben dort reklamieren möchte. Dass der Händler vor Ort genauso gut über mich und meine Bestellungen Bescheid zu wissen hat, wie die Onlineplattform.
Vor allem bedeutet es, dass ich als Kunde das Recht darauf habe mich vor Ort über das Produkt zu informieren und es dann online zu kaufen. Gans selbstverständlich.

Das menschliche Gehirn unterscheidet nicht, auf welchem “Kanal” ein Produkt bezogen wird. Das ist die Denkweise von Betriebswirten. Ein Unternehmen bleibt das gleiche Unternehmen, ganz egal ob das Logo nun auf einem Geschäft in der Innenstadt oder auf einer Webseite prankt. Also sollte es auch die gleichen Rahmenbedingungen bieten.

Stärken und Schwächen: Wo sich Online- und Offlinehandel unterscheiden

Nachdem das klargestellt ist, tauchen wir etwas tiefer ein.

Wie andernorts schon vorgestellt gibt es ganz allgemein gesprochen zwei Faktoren, die maßgeblich bestimmen, ob wir einen Kauf tätigen oder nicht: Der subjektiv wahrgenommene Wert des Produkts, darstellbar in Form von einer emotionalen Belohnung, und der mit dem Erwerb des Produkts verbundene, subjektiv wahrgenommene Aufwand. Beide Bereiche kann man relativ offensichtlich entweder dem Online- oder dem Offlinehandel zuschreiben:

apples-627325_640Der klassische Offlinehandel punktet damit, dass er dem Kunden ermöglicht mit dem Produkt zu interagieren. Wir spüren, wie sich die Kleidung auf der Haut anfühlt, wir können im Spiegel sehen, wie sie uns steht, wir riechen eventuell sogar einen leichten Hauch von Frische – kurzum, wir erleben das Produkt mit allen Sinnen. Wenn das Marketing gut gemacht ist, wird unserem Hirn einheitlich der Wert des Produkts kommuniziert. Es wird unsere Vorstellung angeregt, wie der Kauf dieses Produkts unser Leben verändern könnte.
Der Offlinehandel verfügt damit zumindest theoretisch über eine ganze Palette wirkungsvoller Werkzeuge, die den subjektiv wahrgenommenen Wert eines Produkts steigern.
Der Preis, den man als Kunde für dieses Produkterlebnis zahlt, liegt nicht primär im monetären Bereich, sondern vor allem in der körperlichen Anstrengung. Wenn ich ein Produkt im Laden kaufen will, muss ich erstmal zu diesem Laden hinkommen. Ich muss mich auf den Weg machen, das Produkt im Laden finden und dabei noch Glück haben, dass es auch vorrätig ist.
Hierfür sind eine ganze Menge Stoffwechselprozesse notwendig.

Der Offlinehandel schafft Werte, allerdings zu hohen (metabolischen) Kosten.

Ganz anders beim Onlinehandel.
Es kostet mich kaum Mühen den Rechner aufzuklappen, einen Produktnamen einzugeben und mittels Preissuchmaschine zu vergleichen, wo ich das Produkt am günstigsten bekomme. Nicht nur mein Geldbeutel wird im Vergleich zum Offlinehandel geschont, auch die körperliche Anstrengung tendiert gegen null. Der subjektive Aufwand beim Onlineshoppen ist minimal.
Andererseits sind die sensorischen Möglichkeiten, Produkte über digitale Medien zu vermarkten, sehr beschränkt. Das Internet riecht nicht. Das Internet schmeckt nicht. Das Internet ist ein flacher Bildschirm, es hat keine haptischen Eigenschaften.
Die Möglichkeiten, Emotionen nur durch Text, Bilder und Sounds auszulösen, sind eingeschränkt. Das beschränkt auch die Möglichkeiten einen emotionalen Mehrwert zu schaffen.

Der Offlinehandel ist billig. Allerdings auch vergleichsweise wenig ansprechend.

Wo es hingehen muss… Entwicklungen im Online- und Offlinehandel

apple-763766_640Verlässt man die oberflächliche Betrachtungsweise von Online- und Offlinehandel und blickt etwas tiefer, stellt man jedoch schnell fest, dass diese einfache Zuteilung nicht aufrechtzuhalten ist. Gefühlt begann es damit, dass der Offlinehandel alles daran setzte den Preiskampf mit dem Onlinehandel anzunehmen, Kosten einsparte, wo immer es ging – und zumindest teilweise zu einer Art Lagerverkauf verkam.
Gerade im Lebensmitteleinzelhandel, vielleicht noch bestärkt durch den Erfolg von ALDI, und zu großen Teilen im Schuhhandel konnte man beobachten, wie die Warenpräsentation immer weiter reduziert wurde, bis nur noch Kartons in Regalen vorzufinden waren.
Die Preise sanken.
Mit ihnen sank das Einkaufserlebnis.

Lieber Offlinehandel: Das Einkaufserlebnis ist eure große Stärke! Euer Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Onlinehandel. Nur ihr habt derzeit die Möglichkeit, den Kunden mit den Produkten interagieren zu lassen, alle Sinne anzusprechen und den Kunden die Produktnutzung unmittelbar erfahren zu lassen. Noch kann der Onlinehandel das alles nicht.
Macht etwas daraus.

In den letzten Jahren erfolgte – zum Glück – die Abkehr von dieser Verknappung.
Es geht nicht mehr (nur) um den geringstmöglichen Preis, es geht (endlich) um das Schaffen von Werten. Es werden “Erlebniswelten” gestaltet, in denen der Kunde das Produkt ausprobieren und eine emotionale Bindung aufbauen kann. In sogenannten Flagship Stores geht es nicht mehr (primär) darum, ein Produkt zu verkaufen, sondern darum, eine Marke erlebbar zu machen. Die ersten Unternehmen haben verstanden, dass die direkte Interaktion mit dem Kunden das beste Mittel ist, dieser zu erreichen.
So kann es weiter gehen.

Und der Onlinehandel?

Auch hier hat man erkannt, dass eine Strategie, die auf Faulheit, Verfügbarkeit und geringen Kosten aufbaut, nicht ewig funktionieren kann. Webshops werden interaktiver. Erste Unternehmen arbeiten bereits an der Umsetzung einer in Echtzeit erlebbaren Darstellung der Produktnutzung und auch was Haptik und Sensorik angeht, wird sich das Internet in den kommenden Jahren neu erfinden. Der Onlinehandel macht seine Hausaufgaben, voller Entdeckergeist und Tatendrang.

Deswegen wird es für Unternehmen in Zukunft, mehr denn je, darum gehen, ihren Online- und Offlinehandel sinnvoll miteinander zu verknüpfen.
Online- und Offlinehandel sind keine Gegensätze.
Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Zwei Seiten des selben Unternehmens.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Online- und Offlinehandel haben spezifische Vorteile und Schwächen, doch näherten sie sich in der jüngeren Vergangenheit zunehmend einander an. Parallel dazu besinnt sich der Offlinehandel jüngst endlich wieder seiner Stärken – und der Onlinehandel zieht nach. Beide Segmente wachsen im Wettstreit miteinander. Doch letztendlich geht es nur gemeinsam zum Erfolg.