Orbitofrontalkortex und Amygdala: Ein gutes Team

Orbitofrontalkortex und Amygdala: Ein gutes Team

Die letzten Wochen habe ich mich viel mit dem Orbitofrontalkortex und der Amygdala, ihren Funktionen und ihrer Rolle im Entscheidungsfindungsprozess beschäftigt. Heute ist es an der Zeit, diese Studien – und die beiden Strukturen – zusammen zu bringen. Orbitofrontalkortex und Amygdala sind nämlich, ähnlich wie Orbitofrontalkortex und Nucleus Accumbens, eng miteinander verbunden… Ein eingespieltes Team.

Besonders gut wird dies in einer schon etwas älteren Studie deutlich, die zwar auf den ersten Blick nicht viel mit Marketing zu tun hat, dafür aber umso mehr mit den neuronalen Prozessen von Entscheidungen, wie sie im Rahmen der Neuroökonomie untersucht werden:

Schoenbaum, Chiba und Gallagher (1998) fragten sich, wie sich die Erwartung belohnender oder bestrafender Reize auf die neuronale Aktivität im Gehirn auswirkt. Um dies zu untersuchen, entwickelten sie ein einfaches Experiment: Sie trainierten hungrige Ratten darauf, verschiedene Gerüche zu unterscheiden. Wann immer die Ratten ihre Schnauze in einen kleinen Apparat steckten, erhielten sie eine kleine Geruchsprobe. Steckten sie ihre Nase daraufhin in eine kleine Senke, wurde diese entweder mit einer Rohrzuckerlösung (belohnender Reiz) oder mit einer Chininlösung (aversiver Reiz) gefüllt – je nachdem, welcher Geruch zuvor versprüht wurde.

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Ratten sind sehr gelehrige Tiere – wie man auch an früher Aktivität in Orbitofrontalkortex und Amgydala sieht.
Mandy Stockmann / pixelio.de

Anhand des Geruchs konnten die Ratten also lernen, ob es sich lohnt die Nase in die kleine Senke zu stecken – oder nicht.

Um die neuronale Aktivität in der Amygdala und im Orbitofrontalkortex untersuchen zu können – und dies ist der Grund, warum Ratten und nicht Menschen als Versuchsteilnehmer gewählt wurden – wurden den Tieren Elektroden direkt ins Gehirn gepflanzt. Interessant war für Schoenbaum und Kollegen (1998) vor allem die Phase, in der die Ratten den Geruch aufgenommen und die Nase in die Schüssel gesteckt hatten – also jene Phase, in der sie sich schon für eine Handlung entschieden hatten und nun die Konsequenzen abwarteten.

Orbitofrontalkortex und Amygdala nehmen “richtige” Entscheidung vorweg

Die Ergebnisse der Studie von Schoenbaum und Kollegen (1998) zeigen, dass im Laufe des Experiments mehr und mehr Neuronen in Orbitofrontalkortex und Amygdala aktiv wurden und zunehmend verlässlicher zwischen der nachfolgende Gabe einer aversiven Chinin- oder einer belohnenden Rohrzuckerlösung differnezierten. Das Besondere: Anhand der neuronalen Aktivität dieser beiden Strukturen ließ sich bereits zu einem Zeitpunkt, an dem die Ratten noch mehrheitlich ihre Schnauze in die Senke steckten und die Flüssigkeit zu sich nahmen, zuverlässig vorhersagen, um welche Lösung es sich handeln würde. Sie handelten also in gewissem Maße wider besseren Wissens oder anders ausgedrückt: Die neuronale Aktivität in der Amygdala zeigte die “richtige” Entscheidung an, bevor die entsprechenden Konsequenzen gezogen und das Verhalten entsprechend angepasst wurde.

Interessanter Weise waren diese Aktivitätsunterschiede in der Phase, in der die Geruchsprobe verabreicht wurde, deutlich weniger ausgeprägt – ein Zeichen dafür, dass die beiden Strukturen tatsächlich Erwartung kodieren, nicht unbedingt Lernprozesse1.

Ein zweites sehr interessantes Ergebnis ist, dass – wie erwartet – durchaus Unterschiede in der Aktivität von Orbitofrontalkortex und Amygdala beobachtet werden konnten. Die Amygdala war vor allem dann aktiv, wenn sich die Ratten falsch entschieden hatten, das heißt wenn sie ihre Schnauze in die Senke gesteckt hatten, obwohl eine aversive Lösung zu erwarten war. Steckten sie die Schnauze nicht in die Senke, blieb auch die Amygdala stumm. In gewissen Weise diente die Amygdalaaktivität also als ein Warnsignal: Sei vorsichtig, deine Entscheidung könnte nach hinten losgehen.

Im Gegensatz dazu war der Orbitofrontalkortex gleichermaßen bei der Erwartung positiver wie negativer Lösungen aktiv. So wie es aussieht, ist seine Aktivität kein Anzeichen dafür, dass etwas schlechtes apssieren könnte, sondern ein Zeichen dafür, dass eine Handlung überhaupt eine Konsequenz hat.

Why go neuro…?

Die Studie von Schoenbaum und Kollegen (1998) ist ein schönes Beispiel dafür, dass neuronale Verarbeitungsprozesse bereits mehr Informationen enthalten, als im Verhalten oder – wenn es sich um menschliche Probanden handelt – im bewussten Selbstbericht erkennbar sind. Obwohl die Ratten das gleiche Verhalten zeigten (sie steckten die Schnauze in die Senke, um die Futterlösung zu bekommen), konnte Aktivität in Orbitofrontalkortex und Amygdala bereits vorhersagen, ob sie dieses Verhalten bereuen würden oder nicht.

Aus meiner Sicht ist dies die wirkliche Stärke von Neuromarketing.  Neuronale Aktivität ist unter bestimmten Bedingungen nachweislich besser dazu geeignet, zukünftiges Verhalten vorherzusagen, als Selbsteinschätzungen. Wer sich für weitere Details bezüglich der Vorhersageleistung neurowissenschaftlicher Methoden interessiert, dem sei dieser Artikel empfohlen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Aktivität in Orbitofrontalkortex und Amygdala scheint relativ zuverlässig vorherzusagen, welche Konsequenzen wir zu erwarten haben – selbst dann wenn unser Verhalten negative Konsequenzen nach sich zieht. Während Aktivität im Orbitofrontalkortex nicht zwischen positiven und negativen Folgen differenziert, dient die Amygdala als Warnsignal nach falscher Entscheidung: Vorsicht, das könnte schief gehen.

Fußnote

1 Tatsächlich ist die Amygdala eine sehr komplexe Struktur mit vielen verschiedenen Kernen, die wahrscheinlich alle leicht unterschiedliche Funktionen erfüllen. Eine davon ist nachgewiesener Maßen eine Lernfunktion. Andere Kerne sind hingegen offensichtlich nicht für Lernprozesse, sondern für die Kodierung von Erwartungen zuständig.

Referenzen

Schoenbaum, Chiba und Gallagher (1998). Orbitofrontal cortex and basolateral amygdala encode expected outcomes during learning. Nature Neuroscience, 1(2), 155-159.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de