Oxytocin: Spenden... aber nicht für jeden Zweck

Oxytocin: Spenden… aber nicht für jeden Zweck

Fürsorge – für die eigene Familie und nahestehende Mitmenschen – ist eines der zentralen Kaufmotive, die im Neuromarketing immer wieder beschworen werden – wenngleich unter verschiedenen Namen (Balance-, Sicherheits-, oder Bindungsmotiv). Produkte und Marken, die es uns ermöglichen unseren Liebsten eine Freude zu machen, soziale Bande zu knüpfen und eine gemütliches Zuhause zu gestalten, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit gekauft zu werden – vorausgesetzt, eine entsprechende Emotionalisierung war erfolgreich.

oxytocin baby-carriage-233261_640

Der Moment, in dem unser Oxytocinspiegel ansteigt…

Der Neurotransmitter, der hier von herausragender Bedeutung ist, nennt sich Oxytocin.

Oxytocin wird in der populärwissenschaftlichen Literatur auch gern das “Kuschelhormon” genannt, weil körperliche Nähe zu unseren Liebsten zu einem Anstieg der Oxytocin-Konzentration führt. Auch “Bindungshormon” habe ich schon gelesen – witziger Weise erst kürzlich, in einem Zeitungsbericht über die Studie, um die es heute gehen soll.
Berücksichtigt man die zentrale Bedeutung von Oxytocin für soziales Verhalten und den Einfluss, den es auf (finanzielle) Entscheidungen entwickeln kann, liegt die Vermutung nahe, dass Oxytocin einen großen Einfluss auf die Spendenbereitschaft von Menschen entwickeln kann – immerhin ist die Aufgabe von eigenen finanziellen Ressourcen zum Vorteil anderer Lebewesen (im weitesten Sinne) eine sehr soziale Tat. Tatsächlich ist dieser Zusammenhang so naheliegend, dass ich persönlich ihn nie hinterfragt hätte.

Aber zum Glück gibt es dafür Forscher wie Nina Marsh und Kollegen (2015).

Mehr Oxytocin, höhere Spendenbereitschaft? Nicht zwangsläufig!

Marsh und Kollegen (2015) baten insgesamt über 170 Probanden ins Labor und boten Ihnen die Gelegenheit, Geld für wohltätige Zwecke zu spenden. Zur Wahl standen ein soziales Projekt zur Verbesserung der Lebensgrundlagen der Ureinwohner des Kongo, und ein ökologisches Nachhaltigkeitsprojekt zur Aufforstung des Regenwalds in der gleichen Region. Während die Probanden überlegten, ob sie spenden sollten oder nicht, wurde eine Speichelprobe entnommen und auf den Oxytocinspiegel getestet.
Die Annahme: Der Oxytocinspiegel würde sich zwischen Spendern und Nicht-Spendern unterscheiden.

Das Ergebnis bestätigte diese Annahme – allerdings mit einer Einschränkung. Während der Oxytocinspiegel bei Spendern für das soziale Projekt tatsächlich erhöht war im Vergleich zu Nicht-Spendern, fand sich beim Vergleich von Spendern und Nicht-Spendern für das ökologische Projekt kein solcher Effekt.
Oxytocin schien spezifisch für soziale Projekte zu wirken – auch wenn man bei einem Projekt wie dem Aufforsten des Urwalds im Kongo durchaus soziale Motive unterstellen kann.

Ist dieser Zusammenhang kausal? Ist der Effekt replizierbar?

oxytocin donations-1041971_1280

Spendenbereitschaft und Oxytocin – ein Zusammenhang?

Um zu überprüfen, ob der Zusammenhang zwischen Oxytocin und der Spendenbereitschaft kausaler Natur ist – immerhin hatten die Autoren in ihrer ersten Teilstudie nicht den Einfluss von Oxytocin, sondern den Einfluss verschiedener Projekte auf den Oxytocinspiegel untersucht – wiederholten Marsh und Kollegen (2015) ihren Versuch. Diesesmal entnahmen sie jedoch keine Speichelprobe, sondern verabreichten der einen Hälfte der Probanden eine Oxytocin-Dosis mittels eines Nasensprays.
Die andere Hälfte bekam ein Placebo.
Dann wurden die Probanden gefragt, wie viel Geld sie für die beiden Projekte spenden würden – mit erstaunlichem Ergebnis.

Die Oxytocingruppe spendete mehr als doppelt so viel Geld für den sozialen Zweck als die Placebogruppe. Insgesamt 4,50 EUR im Schnitt.
Für das ökologische Projekt spendete die Oxytocingruppe hingegen nur 2,42 EUR. In der Placebogruppe ganze 4,42 EUR, also zwei Euro mehr!
Ein negativer Effekt!

Spenden schön und gut – aber was hat das mit Marketing zu tun?

Im Anschluss an diesen Teil des Experiments, erhielten die Gruppen je einen Warenkatalog, in dem unterschiedliche Produkte (Lebensmittel, Kleidung) so präsentiert wurden, dass entweder ein sozialer (gute Arbeitsbedingungen für die Erzeuger) oder ein ökologischer Bezug (Nachhaltigkeit) erkennbar wurde. Die Probanden wurden gefragt, wie viel sie bereit wären für die jeweiligen Produkte zu bezahlen.

Erneut zeigte sich kein Effekt zwischen Placebo- und Oxytocingruppe, wenn ein Nachhaltigkeitsbezug hergestellt wurde. Dies spricht dafür, dass Nachhaltigkeit, zumindest auf evolutionsbiologischer Sicht, keinen so starken sozialen Bezug hat, wie immer angenommen.
Vielleicht sollten Unternehmen mit dem Anspruch sozialer Nachhaltigkeit den sozialen Nutzen ihres Anliegens mehr in den ordergrund stellen?

Denn umgekehrt war ein deutlicher Effekt auf die Zahlungsbereitschaft zu beobachten, wenn die Oxytocingruppe Produkte mit sozialem Bezug präsentiert bekam. Erneut war die Zahlungsbereitschaft etwa doppelt so groß wie für konventionelle Produkte.

Die belegt den Einfluss von Oxytocin auf Spenden- und Kaufentscheidungen. Vorausgesetzt ein sozialer Bezug ist gegen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Spendet man für den sozialen Zweck, steigt der Oxytocinspiegel im Speicher – und erhöht man den Oxytocinspiegel experimentell, fallen die Spenden- und Zahlungsbereitschaft nachweislich höher. Voraussetzung: Ein sozialer Zweck ist gegeben. Bei ökologischem Framing verschwindet der Einfluss von Oxytocin, bzw. verkehrt sich eventuell sogar ins Gegenteil.

Referenzen

Marsh, N., Scheele, D., Gerhardt, H., Strang, S., Enax, L., Weber, B., … Hurlemann, R. (2015). The Neuropeptide Oxytocin Induces a Social Altruism Bias. The Journal of Neuroscience, 35(47): 15696-15701; doi: 10.1523/JNEUROSCI.3199-15.2015