Serien machen süchtig - ein Kommentar

Serien machen süchtig – ein Kommentar

Eine der wichtigsten Aufgaben des Marketing ist es, Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen. Neuromarketing kann dabei helfen. Wäre dem nicht so, hätte ich mich schon längst anderen Themen zugewandt. Allerdings muss Neuromarketing richtig eingesetzt und seine Ergebnisse müssen korrekt interpretiert werden – und das ist leider nicht immer der Fall.

Schon in meinen ersten Blogbeiträgen bin ich darauf eingegangen, dass es mindestens zwei… sagen wir typische Fehler in Bezug auf Neuromarketing gibt. Der erste Fehler ist die Überinterpretation von Ergebnissen: Wir sehen in den mit neurowissenschaftlichen Methoden erhobenen Daten Beweise, wo eigentlich nur Indizien sind. Diese Gefahr hat sogar dazu geführt, dass in Neuromarketing in Frankreich verboten wurde. Der zweite Fehler ist das sogenannte reverse inference Problem, auf das ich hier ausführlich eingangen bin. In einem  Satz verweist es darauf, dass neurowissenschaftliche Daten oft mehrdeutig sind und nur selten so verlässlich mit einem bestimmten Prozess zusammenhängen, dass wir sie zu diagnostischen Zwecken einsetzen können.

Ein Beispiel, bei dem man wunderschön das reverse inference Problem beobachten kann, habe ich hier beschrieben: In der New York Times war vor ein paar Jahren die Schlagzeile “You love your iPhone. Literally.” zu lesen. Eine Schlagzeile, die viel Aufmerksamkeit erregte, gerade weil sie sich angeblich auf Neuromarketing Ergebnisse stützt, und die dennoch falsch ist.

Erst vor Kurzem bin ich auf eine weitere Schlagzeile dieser Art gestoßen. Der Tenor:

“Serien machen süchtig!”

Genau wie die iPhone Studie, stützt sich auch diese Schlagzeile auf Befunde aus dem Neuromarketing. Und genau wie damals bin ich mit der Schlagzeile nicht ganz einverstanden.

Deswegen dieser Kommentar.

Bloß nicht umschalten: Serien machen süchtig!Günther Gumhold / pixelio.de

Bloß nicht umschalten: Serien machen süchtig!
Günther Gumhold / pixelio.de

Bevor ich aber loslege, vorweg noch eine Anmerkung: Auch wenn die Presse voll war mit Artikeln zum Thema (Werben & Verkaufen stellte fest, dass Breaking Bad zur Sucht werden kann, der Horizont schreibt von süchtig machenden Serien und selbst die Onlineausgabe des Spiegel titelt, Serien würden Entzugserscheinungen auslösen), war ich leider nicht in der Lage den Originaltext der Studie aufzutreiben. Für eine detailiertere Bewertung und vor allem für eine Einschätzung, wo genau die von mir angesprochenen “Fehler” ihren Ursprung haben, wäre dieser aber notwendig.

Alles, was ich jetzt schreibe, bleibt also unter dem Vorbehalt, dass es sich auf “sekundäre” Quellen berufen muss…

Eine Neuromarketing Studie belegt: Serien machen süchtig.

Horizont, Werben & Verkaufen und der Spiegel berichten übereinstimmend, dass das in der Nähe von Stuttgart angesiedelte Unternehmen “The Neuromarketing Labs” an insgesamt 75 Probanden die Wirkung von TV Serien untersuchte – und zwar mit allen Schikanen, die die moderne Neurowissenschaft zu bieten hat. Die Artikel berichten übereinstimmend, dass Serienjunkies Suchtsymptome wie vermehrtes Schwitzen, angehaltenen Atem und eine erhöhte Herzfrequenz aufweisen, wenn man sie auf Entzug setzt. Zudem sei es egal, welche Emotion eine Serie auslöst – wichtig sei nur, dass sie eine auslöst. Soetwas wie Hass auf eine Serie gebe es nicht. Emotionen – selbst negativ besetzte Emotionen wie Angst – führten grundsätzlich dazu, dass wir bei Serien hängen bleiben.

Einige Details, wie dass sich die Emotionen vor allem auf Charaktere beziehen und dass die Augen- und Mundpartien der Schauspieler angesehen werden, bevor beispielsweise sexuell relevante Reize wie Dekolletés in den Fokus rücken, werden zwar berichtet, aber nicht in allen Artikeln erwähnt. Ich nenne sie nur der Vollständigkeit halber, sie klingen jedoch durchaus plausibel.

Didi01 / pixelio.de

Didi01 / pixelio.de

Abschließend sei noch erwähnr, dass die sehr aufwendige Studie (Hut ab dafür!) im Auftrag von Fox und Vodaphone durchgeführt wurde – was in gewisser Weise meine Neugier weckt, da ich gern wüsste, was mit diesem Aufwand erreicht werden sollte…

Serien machen süchtig? Wirklich?

Wie bereits gesagt: Die meisten Ergebnisse überraschen mich nicht, sondern bestätigen nur bereits bestehendes Wissen. Dass wir Serien schauen, weil sie uns emotional berühren, beispielsweise, dürfte altbekannt sein. Würden wir Fernsehen zur Wissensaufnahme schauen, gäbe es mehr Dokumentationen ;-)

Auch dass die Art der Emotion erstmal egal ist, dass selbst negative Emotionen uns fesseln können, sollte niemanden überraschen. Wäre das nicht der Fall, wäre das Horrorgenre längst ausgestorben, und der von mir verachtete Ekel- und Fäkalhumor würde mich nicht weiter belästigen. Beides hat aber sein treues Publikum.

Es gibt aber zwei Punkte, die mich doch überrascht haben – nicht weil sie eine neue Erkenntnis darstellen, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass sie auf den beiden eingangs erwähnten Problemen beruhen:

Problem 1: Die Überinterpretation von Neuro-Daten

Serien machen süchtig. Das ist erstmal eine schöne Schlagzeile. Catchy. Leicht zu merken. Mit hoher Relevanz.

Wenn man sich aber Gedanken darüber macht, ob die in den Artikeln beschriebenen Untersuchungen und Ergebnisse tatsächlich einen solchen Schluss zulassen, kommen einem erste Zweifel. Können Serien wirklich süchtig machen?

Gemäß der WHO müssen mehrere Krierien erfüllt werden, damit man von einer “Abhängigkeit” oder Sucht sprechen kann. Dazu gehören ein starkes Verlangen, Entzugserscheinungen, der Verlust kognitiver Kontrolle, sowie die Vernachlässigung anderer Aktivitäten. Und noch einige mehr.

Die Daten zu Serienjunkies legen meiner Meinung nach nahe, dass Serien dazu in der Lage sind, starke emotionale Reaktionen hervorzurufen. Das, was in den Artikeln als “Entzugserscheinungen” bezeichnet wird, ist durchaus typisch für emotinale Reaktionen an sich – mit einer wie auch immer gearteten Abhängigkeit hat das erstmal nicht viel zu tun. Das in meinen Augen viel wichtigere Argument des Verlusts kognitiver Kontrolle wird in den Berichten aber gar nicht angesprochen – und wurde wahrscheinlich auch nicht untersucht. Natürlich muss nicht jede Sucht gleich pathologisch sein, insofern ist der Verweis auf die WHO an diese Stelle vielleicht auch ein bisschen dick aufgetragen. Die Daten zeigen meiner Meinung nach aber lediglich, dass Serienjunkies stark emotional auf ihre Lieblingsserien reagieren.

Nicht mehr.

Diese Schlagzeile ließe sich aber wahrscheinlich merklich schlechter verkaufen… naja, sei es drum!

Problem 2: Reverse inferences

Überinterpretationen sind das eine, haben aber wenigstens einen “wahren Kern”. Jede Sucht führt an irgendeinem Punkt zu starken Emotionen, insofern kann man schon sagen dass Serien zumindest das Potenzial haben, suchterzeugend zu wirken. Falsche Rückschlüsse zeugen hingegen von wissenschaftlicher Schlampigkeit.

Im W&V Bericht steht wörtlich:

Die Probanden wurden sogar in den Kernspintomographen geschoben – mit dem Ergebnis: Sie bevorzugen Serien, die mindestens eine von 13 starken Emotionen in ihnen weckt

Ich selbst arbeite seit fast 5 Jahren in der neurowissenschaftlichen Emotionsforschung. Wenn jemand in der Lage wäre, konkrete Emotionen aus Neuro-Daten auszulesen – noch dazu 13 verschiedene – wäre dies eines Nobelpreises würdig. Und das meine ich durchaus ernst.

Es ist nach heutigem Stan der Emotionsforschung schlicht nicht möglich verlässlich emotinale Empfindungen aus Neuro-Daten auszulesen – zumindest nicht, wenn man wissenschaftlich valide arbeitet und nicht einfach wild spekuliert. Wie ihr hier, hier und hier nachlesen könnt, herrscht nicht einmal Konsensus darüber, wie viele Emotionen es tatsächlich gibt; geschweige denn, wie sie neuronal repräsentiert sind.

Was auch immer aus den fMRT Daten ausgelesen wurde – konkrete Emotionen waren es ganz bestimmt nicht.

Mein Fazit zur Schlagzeile: Serien machen süchtig

Wenn ich mir so anschaue, was für Datenmengen in dieser Studie erhoben worden sein sollen, lassen sich sicherlich eine ganze Menge nutzbringender Informationen daraus generieren. Fürs Marketing. Für die Seriengestaltung. Für die Drehbuchentwicklung. Wahrscheinlich sogar für den Schnitt einzelner Episoden.

Die Aussage “Serien machen süchtig” ist mir hingegen zu platt, nicht ausreichend belegt und letztendlich auch nicht relevant.

Mich hätte interessiert, was Fox und Vodaphone mit dieser sicher nicht ganz billigen Untersuchung überhaupt in Erfahrung bringen wollten, und ob sie mit dem Ergebnis zufrieden sind. Aber ich schätze, das wird man nicht erfahren.

So bleibt der Eindruck, dass Neuromarketing mal wieder genutzt wurde, um Aufmerksamkeit zu erlangen – aber eben nicht mehr.

Eigentlich schade.

Sollte jemand von euch zufällig über den Originaltext der Pressemitteilung oder der Studie stolpern, wäre ich für eine kurze Mitteilung dankbar. Man ist ja neugierig… und vielleicht kann ich dann noch etwas daraus lernen.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

“Serien machen süchtig” ist zwar eine schöne Schlagzeile, aber eben auch nicht mehr. Um von Abhängigkeit sprechen zu können, bedarf es mehr, als einer starken emotionalen Reaktion – und niemand kann mittels fMRT 13 unterschiedliche Emotionen identifizieren. Mit Daten ließe sich viel sinnvolles anfangen. Jedenfalls mehr, als eine bloße Schlagzeile.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Petra Bork / pixelio.de