Storytelling synchronisiert Hirnaktivität

Storytelling synchronisiert Hirnaktivität

Sender – Message – Empfänger. Die meiste Kommunikation wird heutzutage, sei es explizit oder implizit, nach diesem einfachen Modell gestaltet. Ein Nachrichtensender, der Einfachheit halber sei angenommen, es handle sich hierbei um ein Unternehmen, überlegt sich, welche Botschaft er dem entsprechenden Empfänger zukommen lassen möchte, kodiert diese in einem Zeichensystem, von dem er glaubt, dass es verstanden wird, und sendet sie. Es kann sich um ein Plakat handeln. Einen Werbespot. Eine Anzeige. Oder ein einfacher Tweet mit den Worten “check this out!”.
Wenn die Nachricht den Empfänger erreicht, dekodiert dieser die Botschaft – vorausgesetzt, ihm ist das verwendete Zeichensystem bekannt. Sollte dabei nichts schief gehen, erschließt sich ihm die Bedeutung. Der Kommunikationsprozess ist abgeschlossen.
Innerhalb dieses Modells, können Störungen vor allem bei der Übertragung der Botschaft (der Kunde sieht die Werbung nicht, jemand hat das Plakat beschädigt und die Nachricht so verändert, …) und bei der Dekodierung auftreten. Im Wesentlichen ist es aber ein sehr einfaches, absolut lineares Modell der Kommunikation. Was der Sender nicht sendet, kann der Empfänger nicht empfangen.

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Ist es wirklich so einfach? Sender – Message – Empfänger?

Klingt logisch, oder?

Nun, leider ist es absoluter Blödsinn.

Kommunikation: Wie gelangt man zu einem realistischen Modell?

Das menschliche Gehirn ist kein Apparat, der sklavisch auf externe Reize reagiert oder darauf wartet, dass ihn von außen neue Informationen erreichen. Es ist ein hochdynamisches Organ, das selbst aktiv nach Informationen sucht, seine Umgebung interpretiert und Annahmen über die zukunft trifft. Entsprechend fehlgeleitet sind Annahmen einer linearen Kommunikationsweise.
Die Profis unter meinen Lesern wissen: Kommunikation ist ein hochgradig dynamischer Prozess.

Eine nicht mehr ganz neue fMRT Studie von Stephens, Silbert und Hasson (2010) belegte dies eindrucksvoll. Stephens und seine Kollegen baten zwei Probanden einem nicht anwesenden Freund eine Geschichte zu erzählen, während sie im Scanner lagen. Den Inhalt der Geschichte konnten die Probanden frei wählen. Einzige Voraussetzungen: Die Geschichte musste mindestens 15min lang sein und den Studenten in ihrem ersten Collegejahr wirklich passiert sein.
Neben der Hirnaktivität beim Erzählen der Geschichte wurde auch die Geschichte selbst aufgezeichnet, um sie später einer Gruppe unabhängiger Probanden vorgespielen zu können. Auch deren Hirnaktivität wurde mittels fMRT erfasst, um neben der neuronalen Verarbeitung beim Senden einer Nachricht auch die neuronale Verarbeitung beim Verarbeiten/Empfangen der selben Geschichte untersuchen zu können.

Ausgehend von der Annahme, dass sich statistische Zusammenhänge zwischen der Hirnaktivität des Senders und der Hirnaktivität des Empfängers finden lassen müssten, wurde dann geschaut, in wie weit die Aktivität des Senders dazu in der Lage war, Veränderungen in der Verarbeitung der Empfänger vorherzusagen. Wir erinnern uns: Sender – Message – Empfänger.
Eigentlich müsste also ein vergleichbares Signal erst beim Sender produziert und dann, mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung, beim Empfänger dekodiert werden.

Storytelling synchronisiert Hirnaktivität: Wir glauben zu wissen, was unser Gegenüber sagen wird

Bemerkenswert ist zunächst, dass erfolgreiche Kommunikation die neuronale Verarbeitung von Sender und Empfänger zu synchronisieren scheint. Der Vergleich von Hirnaktivität zum Zeitpunkt des Erzählens einer Geschichte mit der neuronalen Aktivität zum Zeitpunkt des Hörens der gleichen Geschichte zeigte statistisch bedeutsame Zusammenhänge in Hirnarealen, die für Sprachproduktion und Sprachverständnis, aber auch für Emotionen und höhere Verarbeitungsprozesse verantwortlich sind.
Zudem wurde festgestellt, dass diese Zusammenhänge nur dann nachweisbar waren, wenn ein wirkliches Verständnis der Geschichte vorlag. Wurden die gleichen Analysen durchgeführt, während eine russische Geschichte erzählt und von Englischsprachigen Probanden angehört wurde, fanden sich keine Zusammenhänge. Auch wenn die Sprache zwar übereinstimmte, aber die Geschichte, die erzählt wurde, eine andere war als die, die den Probanden vorgespielt wurde, konnte keine Synchronisierung beobachtet werden.

Storytelling synchronisiert Hirnaktivität also nur dann, wenn auch ein Verständnis der erzählten Geschichte erreicht wird.
So weit, so sehr im Einklang mit dem Sender – Empfänger Modell.

Viel bemerkenswerter ist jedoch ein weiterer Befund, den Stephens und Kollegen (2010) entdeckten.
Aufbauend auf der Annahme einer linearen Kommunikation begannen die Autoren damit, einen zeitlichen Versatz in ihre Analysen einzubauen. Die Idee: Es müsste den Empfänger eigentlich etwas Zeit kosten, die Geschichte zu dekodieren. Also müsste der Zusammenhang zwischen dem Erzählen und dem Verstehen der Geschichte nicht dann am höchsten, wenn der Zuhörer die Geschichte gerade hört, sondern ein paar Sekunden später, wenn er sie versteht. Und tatsächlich: Die größten Zusammenhänge zwischen Hirnaktivität eines Senders und eines Empfänger wurde – je nach Hirnregion – bei einem zeitlichen Versatz von etwa 1 bis 3 Sekunden beobachtet.

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Offensichtlich kommunizieren wir am besten, wenn wir ahnen, was man uns sagen will: Storytelling synchronisiert Hirnaktivität

Ein Befund, der das einfache Modell zunächst zu bestätigen scheint.

Nun muss man aber bedenken, dass fMRT Signale auf Durchblutungsprozessen des Gehirns beruhen. Und diese haben eine gewisse zweitliche Verzögerung. Signalveränderungen im fMRT sind nachweislich etwa 2-3 Sekunden nachdem der Prozess eigentlich begonnen hat am stärksten, nämlich dann, wenn frischer Sauerstoff bereitgestellt wird. Ein starker Zusammenhang in der Synchronität von Hirndaten etwa eine Sekunde nach Informationseingang kann also (muss aber nicht!) bedeuten, dass dieser Prozess eigentlich gestartet wurde, bevor die Information einging.

Diese Hypothese testeten Stephens und Kollegen (2010). Und sie machten eine erstaunliche Entdeckung.

Wir wissen, was unser Gegenüber sagen wird, bevor er es sagt

In Hirnarealen, die an der Vorhersage von Ereignissen und der Repräsentation individueller Wertvorstellungen assoziiert sind, konnte der Zusammenhang zwischen Hirnaktivität des Senders und Hirnaktivität des Empfängers bis zu sechs Sekunden vor Aussenden der Nachricht gezeigt werden. Das bedeutet: Noch bevor der Erzählen die Geschichte erzählte, nahmen bestimmte Hirnareale des Zuhörers dessen Aktivität vorweg.

Wir interpretieren und wir prophezeihen ständig, was unser Gegenüber tun wird. Auch in der Kommunikation.

Und vielleicht liegt genau hier das Erfolgsgeheimnis von Storytelling im Marketing. Stephens und Kollegen (2010) zeigen: Stroytelling synchronisiert Hirnaktivität, und aus früheren Studien wissen wir: Je mehr unsere Hirne in Einklang sind, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Population agiert, aktiv wird, und eventuell Produkte kauft. Sicherlich ein Puzzleteil für den Erfolg von Storytelling.

Je besser die Geschichte, die wir im Marketing erzählen, desto eher kann sich der Konsument eine Meinung und eine Erwartung bilden. Je klarer seine Erwartung, desto leichter wird es ihn zu überraschen.

Die Studie von Stephens und Kollegen (2010) zeigt, dass Kommunikation kein linearer Prozess, kein reines Geben und Nehmen ist. Kommunkation ist dynamisch.
Hochgradig dynamisch.

Zusammenfassung: Das wichtigste in 50 Wörtern

Storytelling synchronisiert Hirnaktivität: Wenn jemand eine Geschichte erzählt, weisen das Hirn des Erzählers und das des Zuhörers starke Zusammenhänge in ihrer Aktivität auf. Doch damit nicht genug: In einigen Bereichen des Zuhörerhirns wird die Geschichte offensichtlich bereits vorweggenommen. Wir kommunizieren am besten, wenn wir schon ahnen, was auf uns zukommt.

Referenzen

Stephens, G. J., Silbert, L. J. & Hasson, U. (2010). Speaker–listener neural coupling underlies successful communication. PNAS, 107(32), 14425–14430.