Survival of the fittest (it's all about emotion 3)

Survival of the fittest (it’s all about emotion 3)

Die meisten mir bekannten Emotionstheorien sind entstanden, weil sich jemand mit der Frage: “Was sind Emotionen und wie funktionieren sie?” beschäftigt hat. Im Gegensatz dazu entstand das Züricher Modell der sozialen Motivation, welches ich hier vorstellen möchte, sowohl theoretisch als auch empirisch eher als ein Nebenprodukt ganz anderer Fragestellungen – aber gerade deshalb finde ich es so überzeugend.

Die Theorie im Detail

Einer der Gründe dafür, das der Mensch als Spezies so unglaublich erfolgreich ist, liegt sicherlich in seiner Lernfähigkeit. Er hat es geschafft sich an die unfreundlichsten Umgebungen anzupassen, hat gelernt dort zu überleben. Mehr noch, er hat es geschafft, seine Umgebung zu seinem Vorteil zu gestalten – eine beachtliche Leistung.

JMG / pixelio.de

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Lernfähigkeit bedeutet einerseits sich den Anforderungen seiner Umwelt anzupassen. Es bedeutet aber auch, zunächst einmal nicht optimal angepasst zu sein. Wer ein Neugeborenes sieht, wie es daliegt, strampelt, schreit, der versteht vielleicht was ich damit meine, wenn ich von einer “beachtlichen Leistung” spreche. Hätte sich der Mensch im Lauf der Evolution einzig und allein auf seine Lernfähigkeit verlassen müssen, wäre die Phylogenese sicherlich anders verlaufen. Aber gerade weil ein Kind anfängt zu schreien, wenn es alleingelassen wird, zeigt auch, dass wir uns nicht nur auf unsere Lernfähigkeit verlassen müssen. Wir sind von der Evolution mit einigen Werkzeugen ausgestattet worden, die zwar durch Lernen modifiziert werden können, die aber auch ohne Lernen funktionieren: Emotionen.

Norbert Bischof beschreibt in seinem Buch “Das Rätsel Ödipus” sehr anschaulich, warum Emotionen evolutionär adaktiv sind. Bleiben wir beim Beispiel mit dem Baby: Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist es seiner Umwelt erst einmal schutzlos ausgeliefert. Es kann nicht Weglaufen und niemanden in die Flucht schlagen, aber es kann auf sich aufmerksam machen. Würde das Baby in einer Umwelt geboren, in der es nur Feinde gibt, wäre das sicherlich sein Ende – zum Glück ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich irgendwo in der Nähe Mutter und Vater aufhalten. Diese haben widerum ein immenses Interesse daran, dass es dem eigenen Nachwuchs gut geht, denn das Überleben des eigenen Genoms ist letztendlich das, worauf es bei der Evolution ankommt. Es ist evolutionsbiologisch somit höchstgradig adaptiv, wenn zwischen Eltern und Kind eine starke emotionale Bindung besteht.

Norbert Bischof nennt das Motivationssystem, welches für eine starke Bindung zwischen Mutter und Kind verantwortlich ist, “Sicherheitssystem”. Neben diesem gibt es ein “Erregungssystem”, welches sich vor allem in zwei Emotionen äußert: Neugier und Furcht. Dass Furcht adaptiv ist, sollte intuitiv verstädlich sein – überschreitet die Erregung aufgrund einer unbekannten und schwer einschätzbaren Situation einen bestimmten Schwellenwert, ist es ratsam das Weite zu suchen. Doch auch Neugier ist durchaus vorteilhaft im Kampf um begrenzte Ressourcen. Neues entdecken, neue Dinge lernen, die Umgebung erkunden – all das kann von entscheidender Bedeutung sein.

Petra Bork / pixelio.de

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Das dritte Motivsystem des Züricher Modells wird “Autonomiesystem” genannt und gliedert sich in drei Motive: das Machtmotiv, das Geltungsmotiv und das Leistungsmotiv. Das Machtmotiv dient der Ausbildung stabiler sozialer Hierarchien und lässt sich am besten anhand von Beispielen aus dem Tierreich erklären: Wann immer zwei Tiere einer Spezies aufeinander treffen, versuchen sie mittels Drohgebahren und Imponierverhalten herauszufinden, welches der beiden Individuen den höhren Rang in der “Hackordnung” bekleidet. Einmal etabliert, ist der Rang relativ stabil. Beim Menschen lassen sich solche “Hackordnungen” vor allem im Berufsleben nachweisen (z.B. bei Medizinern, Akademikern, Juristen, usw.) und auch bei uns geht ein Aufstieg innerhalb dieser Hierarchien mit einem gewissen Triumphgefühl einher.

Das Leistungs- und das Geltungsmotiv schließlich sind nach Bischof als exklusiv menschliche Motive angelegt und konzeptionell eng verwandt. Ziel des Geltungsmotivs ist es, Anerkennung durch andere zu erhalten, während das Leistungsmotiv darauf abzielt sich selbst als kompetentes Individuum zu erleben. Es sind quasi zwei Seiten der selben Medaille: Im einen Fall geht es darum, durch relevante Dritte die eigene Fähigkeit bestätigt zu bekommen und im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Im anderen Fall geht es um die eigene Anerkennung der eigenen Leistungsfähigkeit. Beide Motive gehen – wenn befriedigt – mit Stolz einher.

Eine schöne Zusammenfassung des Züricher Modells sozialer Motivation findet man hier.

Befunde, die diese Theorie stützen

Aus meiner Sicht kommt die beste Bestätigung des Züricher Modells von dem in Estland geborenen amerikanischen Psychologen Jaak Panksepp. Dieser untersucht seit Jahrzehnten die Funktion eines kleinen, eng umschriebenen Areals, dem Periaqueduktalen Grau (PAG). Mittels elektrischer Stimulation verschiedener Bereiche des PAG konnte Panksepp unterschiedliche Verhaltensweisen bei seinen Versuchstiere beobachten – Verhaltensweisen, die seiner Meinung nach Ausdruck verschiedener Emotionen sind.

Insgesamt 7 Emotionssysteme konnten bislang von Panksepp identifiziert werden – und diese stimmen fast 1 zu 1 mit den Vorhersagen des Züricher Modells überein. Die wichtigsten sozialen Emotionssysteme sind laut Panksepp CARE, also das Fürsorgeverhalten von Elterntieren gegenüber ihren Jungen, und PANIC, mit dem “Cry of Loneliness” alleingelassener Jungtiere als prominentestem Beispiel. Klingt vertraut, nicht wahr?

Die Emotionssysteme FEAR und SEEKING sind nicht nur dem Namen nach den Motiven Neugier und Furcht des Erregungssystems ähnlich. Gleiches gilt für das Emotionssystem LUST, welches den Sexualtrieb im Züricher Modell belegt. Offensichtlich bedarf es nicht viel mehr als einer kleinen elektrischen Stimulation, um Balz- und Kopulationsverhalten auszulösen – quasi unabhängig von der Spezies, bei der dies getestet wurde.

Während sich das Sicherheits- und das Erregungssystem des Züricher Modells quasi zu 100% in Panksepps Stimulationsstudien wiederfinden, ist vom Autonomiesystems lediglich das Machtmotiv in Panksepps Daten nachweisbar. Panksepp nennt es RAGE. Das Fehlen der Leistungs- und Geltungsmotive ist allerdings kaum verwunderlich, da es sich hierbei ja explizit um spezifisch menschliche Motive handelt, Elektrostimulation beim Menschen aber nur eingeschränkt möglich ist. Panksepps Daten beruhen ausnahmslos auf Tierversuchen.

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magicpen / pixelio.de

Die einzige wirkliche Inkonsistenz der beiden Modelle ist daher das von Panksepp angenommene PLAY System, welches im Züricher Modell nicht auftaucht. PLAY beschreibt spielerisch-balgendes Verhalten, oft zwischen Jungtieren, welches dazu dient neu erlernte Verhaltensweisen in einem geschützten Umfeld zu trainieren. Der Spaß am Spiel soll letztendlich dazu führen, dass sich das Lebewesen richtig verhält, wenn es darauf ankommt.

Das Züricher Modell der sozialen Motivation in der Marketingpraxis

Lange Zeit nahm man an, dass Menschen nur das kaufen, was sie brauchen. Will ich ein Bild aufhängen, brauche ich einen Nagel oder eine Schraube – dumm nur, dass selbst der kleinste Baumarkt eine riesige Auswahl unterschiedlichster Firmen im Angebot hat, die Nägel und Schrauben unterschiedlichster Größe anbieten. Für welche entscheidet sich der Kunde und wie kann man ihn in seiner Entscheidung beeinflussen?

Sinnvoll im Sinne einer rein rationalen Abwägung wäre es, den preiswertesten Nagel zu kaufen, der alle gestellten Anforderungen erfüllt. Und in vielen Fällen entspricht dies sicherlich auch dem tatsächlich beobachtbaren Verhalten. Wenn ich aber einen Nagel kaufen kann, der nicht nur das Bild an der Wand hält, sondern mir darüber hinaus das Gefühl vermittelt, etwas geleistet zu haben, ist das ein Mehrwert. Unter Umständen sogar ein geldwerter Mehrwert, denn er befriedigt das Leistungsmotiv*.

Das Züricher Modell sozialer Motivation gibt Aufschluss darüber, welche Motive unter Umständen ökonomisch relevant sind, wenn richtig eingesetzt. Es erlaubt eine Zielgruppensegmentierung und gibt Orientierung bei der Emotionalisierung von Werbung. In einem Satz: Es beschreibt, was uns Menschen antreibt.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Das Züricher Modell der sozialen Motivation von Norbert Bischof ist eine der bedeutsamsten und einflussreichsten Emotionstheorien – auch und vor allem im Marketing.  Es postuliert drei empirisch gut gestützte Motivsysteme, sowie zwei spezifisch menschliche Motive. Evidenz für diese Theorie kommt aus unabhängigen Elektrostimulationsstudien von Jaak Panksepp, der sieben Emotionssysteme identifiziert.

Referenzen

Bischof, N. (1989). Das Rätsel Ödipus. München: Piper

Panksepp, J. (2004). Affective Neuroscience: The Foundations of Human and Animal Emotions. Oxford: University Press

 

* Seien wir ehrlich: Männer hoffen meist darauf, dass nicht nur sie selbst ihre Leistung anerkennen (Leistungsmotiv), sondern auch ihre Frauen, die sie mit dem Aufhängen des Bildes beauftragt haben (Geltungsmotiv). Mit etwas Glück ist der Nagel in der Wand also gleich doppelt befriedigend. Zumindest theoretisch.

 

Den ersten Teil meiner Reihe zu menschlichen Emotionen findet ihr hier

Den zweiten Teil meiner Reihe zu menschlichen Emotionen findet ihr hier

 

Artikelbild von Tanja Lidke / pixelio.de