Neuromarketing Mythos 2: Der Konsumzombie

Neuromarketing Mythos 2: Der Konsumzombie

Vor zwei Wochen habe ich geschrieben, dass es auch mit den Methoden des Neuromarketing keinen gläsernen Konsumenten geben wird. Ein paar Geheimnisse sind noch immer sicher, Gedanken sind nicht einfach auslesbar.

Ich habe aber auch geschrieben – und das schon mehrfach – dass Neuromarketing trotzdem dazu beitragen kann, Konsumentenverhalten zu verstehen, vorherzusagen und damit letztendlich ganz gezielt zu beeinflussen. Wie weit sind wir also noch entfernt vom willenlosen Konsumenten, der nur noch kauft, was die Werbung ihm sagt?

Wie realistisch ist der Konsumzombie?

Status quo: Was wir über Kaufverhalten wissen

Machen wir doch mal eine Bestandsaufnahme. Will man einen Konsumzombie erschaffen, braucht man dazu meines Wissens nach mindestens drei Dinge:

- einen Konsumenten, der in einen Kaufrausch versetzt werden soll,

- das notwendige Wissen um die für eine Kaufentscheidung entscheidenden neuronalen Vorgänge, sowie

- die Möglichkeit, diese gezielt und absolut zuverlässig zu manipulieren.

Spielen wir es theoretisch durch…

Potenzielle Konsumenten gibt es genügend, darum brauchen wir uns auf unserem Weg zum Konsumzombie also keine Gedanken zu machen. Auch über die relevenaten neuronalen Vorgänge haben wir in den letzten Jahren einiges gelernt. Wir wissen beispielsweise, dass dem Nucleus Accumbens und dem Belohnungssystem eine besondere Bedeutung zukommen. Wenn ein Produkt oder eine Werbemaßnahme das Belohnungssystem nicht ansprechen, kann man den Plan einen Konsumzombie zu erschaffen gleich vergessen.

Wir wissen aber auch, dass ein Belohnungsversprechen allein nicht reicht. Die Studie von Knutson, Rick, Wimmer, Prelec und Loewenstein (2007) hat beispielsweise gezeigt, dass auch die Wahrnehmung von Preisen einen Einfluss hat. Auf die komplexen neuronalen Strukturen, die Kaufentscheidungen zugrunde liegen, bin ich beispielsweise in diesem Beitrag eingegangen. Es gibt sicherlich noch eine ganze Menge Strukturen, die ebenfalls an Kaufentscheidungen beteiligt sind. Wichtig ist: Wir haben mittlerweile genügend Wissen, um Kaufentscheidungen in gewissem Rahmen korrekt vorherzusagen.

Damit sind die ersten beiden Punkte unserer Liste bereits abgehakt. Bleibt der dritte Punkt, und da wird es etwas kniffliger. Kann man die Aktivität in diesen Regionen willentlich und zuverlässig gezielt beeinflussen?

Die direkte Beeinflussung der menschlichen Hirnaktivität

Auch zu diesem Thema habe ich schon einmal einen Beitrag geschrieben – die deutliche Antwort lautet: Ja.

Zumindest in gewissem Maße.

Es gibt nicht-invasive Methoden, mit denen wir zumindest einige Bereiche des Hirns gezielt beeinflussen können. Die transkranielle Magnetstimulation (TMS), beispielsweise, kann neuronale Prozesse im Bereich des sogenannten Neokortex behindern oder unterstützen. Die Insula und der mediale Präfrontalkortex sind mittels TMS also gezielt beeinflussbar.

Etwas anders liegt der Fall beim Nucleus Accumbens. Für elektrische oder magnetische Stimulation liegt diese Struktur zu tief im menschlichen Gehirn verborgen. Allerdings arbeitet das gesamte Belohnungssystem mit dem Botenstoff Dopamin. Ich bin leider kein Experte in Bezug auf die Manipulation neuronaler Prozesse durch die Gabe von Hormonen, aber zumindest im Fall von Oxytocin weiß ich, dass dieses einfach in Form eines Nasensprays verabreicht werden kann. Und trotzdem in gewissem Maße seine Wirkung entfaltet.

Ohne mich im Detail auszukennen: Ich kenne keinen Grund, warum das im Falle von Dopamin großartig anders sein sollte.

Was jedoch nicht heißt, dass es einen solchen vielleicht gibt…

Fazit: Ist der Konsumzombie möglich?

Auch hier eine überraschend klare und einfache Antwort: Ja. Theoretisch sollte es möglich sein, bei optimalen Bedingungen und mit dem geeigneten Equippment einen Konsumenten so zu manipulieren, dass er nicht anders kann, als angebotene Ware zu kaufen. Auch wenn es praktisch natürlich noch niemand versucht hat, eine solche Manipulation umzusetzen.

Denn: Der Konsumzombie ist eine theoretische Möglichkeit!

Allein die zum Einsatz kommenden Methoden und der Aufwand für die gezielte Manipulation neuronaler Prozesse stünden wahrscheinlich in keinem Verhältnis zum zu erwartenen Gewinn, zumal dieses Vorgehen eine sehr hohe Kooperationsbereitschaft des Konsumenten voraussetzen würde. Man kann nicht einfach unbemerkt bestimmte Teile des Hirns stimulieren oder lahmlegen, und über die Legalität eines solchen Vorgangs brauche ich hoffentlich nicht weiter diskutieren. Der Konsumzombie ist, wenngleich möglich, absolut unrealistisch.

Neuromarketing kann – im Rahmen der legalen Möglichkeiten – dazu beitragen, Werbemaßnahmen zielgruppengerecht zu optimieren. Zum Beispiel indem schon bei der Gestaltung der Werbemaßnahmen Wissen über Entscheidungsfindungsmechanismen berücksichtigt wird. Oder indem wirksame und unwirksame Elemente durch geeignete Messungen identifiziert werden. Weder das eine, noch das andere ist jedoch eine direkte Manipulation neuronaler Entscheidungsprozesse…

Diese kann Neuromarketing ebenfalls mehr oder weniger direkt beeinflussen.

Dies wäre jedoch ethisch und moralisch nicht vertretbar, illegal und in den meisten Fällen aufgrund des Aufwands unrentabel.

Fazit: Konsumzombies sind möglich. Aber unrealistisch.

Ein kurzer Nachtrag

Meine große Hoffnung ist, dass Neuromarketing eines Tages dazu eingesetzt wird um nicht gesunde, normale Menschen so zu manipulieren, dass sie nicht mehr anders können als einzukaufen, sondern um das Gegenteil zu erreichen. Wie ich bereits schrieb, gibt es Menschen, die auch ohne Neuromarketing einem gewissen Zwang unterliegen, Dinge zu kaufen, die sie eigentlich gar nicht haben wollen. Mit Neuromarketing sollte es möglich sein, diese Störung zu verstehen und eventuell sogar sie zu therapieren.

Ich hoffe es jedenfalls.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Unser Wissen und unsere Methoden sind mittlerweile ausgereift genug, um Menschen gezielt und willentlich zu bestimmten (Kauf)Entscheidungen zu bewegen. Der Konsumzombie ist möglich. Zumindest theoretisch. In der Praxis scheitert eine gezielte Maniulation jedoch zum Glück an ethischen und juristischen Hürden – abgesehen davon, dass sie kaum rentabel sein dürfte.

Referenzen

Knutson, B., Rick, S., Wimmer, E., Prelec, D. & Loewenstein, G. (2007). Neural predictors of purchases. Neuron, 53, 147-156.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von AMCs Erfolgsserie “The Walking Dead”