Wenn mein Hirn macht, was dein Hirn macht...

Wenn mein Hirn macht, was dein Hirn macht…

Wir Menschen sind häufig stolz auf unsere Individualität – darauf, dass jeder Mensch auf gewisse Weise einzigartig ist. Irgendwie stimmt es natürlich: Keine Lerngeschichte gleicht der anderen bis ins Detail, und selbst wenn es so wäre, gäbe es spätestens bei der genetischen Ausstattung doch noch Unterschiede.

Jeder Mensch ist einzigartig.

Diese triviale Erkenntnis ist ein großes Problem für jeden, der große Menschenmengen erreichen möchte. Werbeagenturen, beispielsweise. Wenn nämlich ein und der selbe Werbespot von jedem Betrachter in gewissem Maße anders wahrgenommen wird, und dass unsere Erfahrungen und Erwartungen einen großen Einfluss darauf haben, wie wir Dinge wahrnehmen, ist zweifelsfrei bewiesen, wie muss er dann gestaltet werden, um möglichst viele Menschen zu erreichen? Anders ausgedrückt: Wie funktioniert Massenkommunikation, wenn die Masse nicht einheitlich ist?

Wenn an kleinen Stichproben untersucht wird, ob eine bestimmte Werbemaßnahme die Chance auf erfolgreichen Einsatz “im Feld” hat, so beruhen diese Untersuchungen meist auf mitteleren Ausprägungen bestimmter Variablen. Das gilt für klassische Marktforschung wie für Neuromarketing gleichermaßen. Früher hat man gefragt: “Wie sehr gefällt Ihnen der Spot auf einer Skala von 1 bis 5″, heute nimmt man halt ein EEG. Die Idee dahinter ist aber die selbe: Erfolgreiche Werbemaßnahmen müssen kaufrelevante Prozesse wie beispielsweise die Annäherungsmotivation ansprechen. Je stärker der Prozess angesprochen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Kauf kommt.

Ein neuer Ansatz: Zeitliche Synchronität neuronaler Prozesse

Das Problem: Gerade wenn psychologische Prozesse (Aufmerksamkeit, Emotionen, Gedächtnis) und nicht nur Meinungen gemessen werden, sind die Ergebnisse innerhalb einer Stichproben oft unhomogen. Aus der Grundlagenforschung kenne ich es, dass nicht selten 1/3 der Probanden einen Effekt in die eine Richtung zeigt – und 2/3 in die andere. Im Mittel setzt sich dann natürlich die 2/3 Mehrheit durch. Dass dann aber mitunter nur ein paar wenige Probanden mit extremer Ausprägung des Merkmals den Effekt ausmachen, kann zum Problem werden.

Eine vor zwei Wochen sehr hochrangig veröffentlichte Studie von Dmochowski, Bezdek, Abelson, Johnson, Schumacher & Parra (2014) versuchte daher einen etwas anderen Ansatz. Nicht mehr die mittlere Ausprägung eines zuvor definierten Merkmals, sondern die zeitliche Synchronität neuronaler Prozesse wurde benutzt, um Verhalten vorherzusagen. Die Idee dahinter ist sehr simpel: Je mehr ein Werbespot dazu in der Lage ist, unterschiedliche Menschen auf die gleiche Art und Weise anzusprechen (sprich: vergleichbare neuronale Aktivität auszulösen), desto besser sollte er zur Massenkommunikation taugen.

Simple Logik. Und zudem äußerst erfolgreich.

Die Autoren zeigten einem Dutzend Probanden die Werbespots des Superbowls von 2012 und 2013 und zeichneten währenddessen ihre neuronalen Verarbeitungsprozesse mittels EEG auf. Dann verglichen Sie die neuronalen Prozesse der einzelnen Probanden miteinander.

Das Faszinierende: Jedes Jahr werden die Superbowl Werbespots von Tausenden Zuschauern bewertet. Die Synchronität neuronaler Prozesse einer kleinen EEG Stichprobe konnte das Ergebnis dieser Bewertungen – zumindest zu einem gewissen Teil – vorhersagen.

Auch Handlungen werden durch neuronale Synchronität bei kleinen Stichproben vorhergesagt

Die Daten von Dmochowski und Kollegen (2014) legen nahe, dass es tatsächlich zu einem gewissen Teil darauf ankommt, ob ein Werbespot von verschiedenen Menschen in vergleichbarer Weise wahrgenommen wird, wenn es darum geht ob die Zuschauer ihn mögen oder nicht. Und allein diese Erkenntnis ist eigentlich schon wert, dass man darüber schreibt.

Offensichtlich kann das Verfahren zur Bestimmung der neuronalen Synchronität aber noch mehr als nur vorhersagen, ob wir das, was wir sehen, auch mögen.

Es kann vorhersagen, ob wir handeln.

In einem zweiten Experiment zeigten die Autoren ihren Probanden die Pilotfolge von AMCs Erfolgsserie “The Walking Dead”. Wieder zeichneten sie währenddessen das EEG auf und wieder errechneten sie, inwieweit sich die neuronalen Muster zwischen den Probanden ähnelten. Für jede Szene erhielten sie so einen Wert der Angab, wie sehr sich die neuronalen Prozesse beim Betrachten der Szene ähneln. Und mit diesen Daten versuchten sie dann vorherzusagen, wie viele Tweets zur Pilotfolge abgesetzt wurden, als diese erstmalig ausgestrahlt wurde. Mit Erfolg.

Wieder konnte ein statistischer Zusammenhang zwischen neuronaler Synchronität der Testgruppe und themenbezogener Twitter Aktivität in der Population festgestellt werden. Je ähnlicher das neuronale Muster, desto mehr Tweets.

Die Frage ist: Warum?

Neuronale Synchronität ist sinnfrei. Noch.

Das größte Problem der Studie von Dmochowski und Kollegen (2014) ist, dass sie keine wirkliche Aussage über Funktionalität macht. Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass Ähnlichkeiten in der neuronalen Verarbietung kleiner Stichproben zuverlässige Aussagen auf Populationsebene erlauben – und dass diese Aussagen auf Populationsebene sogar zuverlässiger sind, als auf Ebene der Stichprobe. Der Zusammenhang zwischen neuronaler Synchronität und Bewertung von Werbespots auf Populationsebene war nämlich sogar größer als der Zusammenhang zwischen neuronaler Synchronität und Bewertung von Werbespots innerhalb der Stichprobe. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass diese Methode sensibel für allgemeine, durch den Stimulus ausgelöste Prozesse ist, da sich interindividuelle Unterschiede (auch im Bewertungsverhalten) auf Populationebene ausmitteln und an Bedeutung verlieren.

Allerdings sagt diese Methode nichts darüber aus, welche Prozesse durch einen Werbespot oder eine Fernsehserie angesprochen werden. Ob die Zuschauer viele Tweets verfassten, weil sie das gesehene gut oder schlecht fanden, ist nicht zweifelsfrei erkennbar.

Die Erfassung der neuronalen Synchronität wird sich meiner Meinung nach sicherlich in naher Zukunft im Neuromarketing etablieren. Mehr noch als für andere Neuromarketing Methoden gilt hier jedoch, dass sie mit anderen Maßen kombiniert werden muss.

Bislang ist diese Methode “ohne Sinn”. Ergänzt man sie aber mit einem Maß das sensibel ist für psychologische Prozesse, erscheint sie mir sehr sinnvoll…

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Errechnet man in einer kleinen Stichprobe die durch einen Stimulus ausgelöste neuronale Synchronität (inwiefern ähneln sich unterschiedliche Menschen in ihren neuronalen Verarbeitungsprozessen), so ist dies ein zuverlässiger Indikator für die Wirksamkeit von Massenkommunikation. Sowohl die Bewertung von Werbespots (Liking) als auch die Anzahl abgesetzter Tweets kann so vorhergesagt werden.

Referenzen

Dmochowski, J. P., Bezdek, M. A., Abelson, B. P., Johnson, J. S., Schumacher, E. H. & Parra, L. C. (2014). Audience preferences are predicted by temporal reliability of neural processing. Nature communications, 5, article number 4567

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von Rainer Sturm / pixelio.de