Leide, du Hund! Vom Genuss altruistischer Bestrafung

Leide, du Hund! Vom Genuss altruistischer Bestrafung

Wenn euch jemand 3 Euro anbietet, ohne dass ihr etwas dafür tun müsstet… einfach so, als Geschenk. Würdet ihr das Geld annehmen?

Die meisten wären wohl zunächst etwas skeptisch, würden das Geld aber nehmen, wenn es ohne Haken aus vertrauenswürdiger Quelle stammt – beispielsweise von einem Wissenschaftler im Rahmen einer psychologischen Untersuchung. Selbst wenn dieser Wissenschaftler euch 3 Euro anbietet, einem danebenstehenden Versuchteilnehmer aber 7 Euro, würde das bei Gleichheit aller Rahmenbedingungen wahrscheinlich zur gleichen Entscheidung führen.

Drei Euro haben oder nicht… auch wenn es moralisch unfair vom Wissenschaftler ist, den anderen zu bevorzugen, bleibt die Frage “Geld nehmen oder nicht?” eine einfache Entscheidung.

Was passiert aber, wenn der Wissenschaftler nicht selbst das Geld aufteilt, sondern 10 Euro an den nebenstehenden Versuchsteilnehmer gibt mit der Aufgabe, diese in einem beliebigen Verhältnis zwischen sich und euch aufzuteilen? Einzige Bedingung: Wenn ihr dem Verteilungsverhältnis nicht zustimmt, nimmt der Wissenschaftler das Geld zurück und ihr wie auch euer Mitspieler gehen leer aus. Wenn ihr unter diesen Bedingungen 3 Euro angeboten bekommt – würdet ihr sie nehmen?

Altruistische Bestrafung: Nicht rational?

Diese Rahmenbedingungen stammen aus einem sehr berühmten experimentellen Paradigma der Neuroökonomie, dem sogenannten Ultimatum Game. Das Ultimatum Game wurde unter anderem dazu entwickelt, zentrale Annahmen des homo oeconomicus Modells überprüfen zu können – beispielsweise die Annahme, dass jeder Versuchteilnehmer auch unter den eben beschriebenen Bedingungen das Geld annimmt. 3 Euro haben ist eben immer besser als kein Geld bekommen, auch dann, wenn sich ein Spieler auf Kosten des anderen Spielers bereichert.

Empirisch wurde allerdings vielfach nachgewiesen, dass unter den beschriebenen Umständen das Angebot meist abgelehnt wird. Wir nehmen offenbar einen eigenen Verlust in Kauf, wenn wir dafür den unfair handelnden Mitspieler bestrafen können.

Die Frage ist: Warum? Welchen Zweck erfüllt altruistische Bestrafung?

Ist altrustische Bestrafung eine Form der Emotionsäußerung im Ultimatum Game?

Xiao und Houser (2005) fragen sich, ob das Ablehnen eines unfairen Angebots im Rahmen des Ultimatum Games eventuell eine Form des Protests sein könnte, ein Ausdruck der empfundenen Emotionen. Da die Spieler im Ultimatum Game nicht miteinander kommunizieren können, ist altruistische Bestrafung die einzige Möglichkeit einem unfairen Aufteiler eine Nachricht zukommen zu lassen. Sie lautet: So nicht mein Freund!

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Altruistische Bestrafung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun – sondern mit Emotionen.
Thorben Wengert / pixelio.de

Was aber, wenn man den Spielern die Möglichkeit gibt, neben ihrer Entscheidung auch eine kurze Botschaft an den Mitspieler zu schicken? Wenn man die Möglichkeit hat, seine Emotionen auf andere Weise auszudrücken? Hat das einen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten?

Glaubt man den Daten von Xiao und Houser (2005), hat es sogar einen großen Einfluss. Unfaire Angebote im Bereich 80/20 wurden deutlich häufiger akzeptiert, wenn Probanden die Möglichkeit hatten eine Botschaft zu übermitteln – und diese Botschaften drückten ausnahmslos negative Emotionen aus. Erst wirklich unverschämte Angebote im Bereich 90/10 wurden überwiegend abgelehnt – und ebenfalls negativ kommentiert.

Altruistische Bestrafung im Hirn

Liegt der Nutzen altruistischer Bestrafung also darin, dass wir unsere negativen Emotionen ausleben können? Dass wir unseren Mitmenschen zeigen, dass sie sich anders verhalten müssen, wenn sie weiterhin mit uns interagieren wollen?

Um eine bessere Datenlage zur Beantwortung von Fragen wie diesen zu bekommen, beschlossen De Quervain und Kollegen (2004) ihre Probanden eine leicht modifizierte Form des Ultimatum Games spielen zu lassen und währenddessen ihre Gehirnaktivität aufzuzeichnen. Wen Details dieser komplexen Studie interessieren sei an die Originalliteratur verwiesen, das wichtigste Ergebnis ist jedoch, dass im Rahmen des Experiments eine absichtliche, mit Verlusten für den teilenden Spieler verbundene Bestrafung mit erhöhter Aktivität im nucleus caudate einhergeht, einem wichtigen Kern des Belohnungssystems. Diese Aktivität war umso stärker, je heftiger die Bestrafung ausfiel, was die Autoren der Studie dahingehend interpretieren, dass wir aus einer heftigen Bestrafung für unfaires Verhalten die größere Genugtuung ziehen.

In jedem Fall legen die Daten von De Quervain und Kollegen (2004) nahe, dass wir durchaus positive Gefühle mit dem Bestrafen anderer verbinden – eine vorangehende unfaire Behandlung vorausgesetzt.

Die Frage nach dem “Warum?” und Implikationen für die Marketingpraxis

Wenn man ehrlich ist, sind die Ergebnisse von De Quervain und Kollegen (2004) nicht verwunderlich. Jeder von uns wird schon einmal erlebt haben, dass es sich gut anfühlt jemand anderem sein unangemessenes Verhalten heimzuzahlen – auch wenn wir es ungern zugeben. Die Frage ist, warum unser Gehirn uns belohnt, wenn wir andere bestrafen.

Meine ganz persönliche Antwort auf diese Frage beruht auf einer Emotionstheorie von Norbert Bischof, die ich hier etwas ausführtlicher vorgestellt habe. Sie geht im Wesentlichen davon aus, dass unser Sozialverhalten von drei Motivsystemen gesteuert wird: dem Sicherheitsmotiv, dem Erregungsmotiv und dem Autonomiemotiv. Letzteres ist meines Erachtens der Schlüssel zum Verständnis der hier vorgestellten Ergebnisse.

Im Rahmen des Ultimatum Games werden Probanden nämlich in eine Machtposition gebracht: Entweder sie Entscheiden über das Aufteilungsverhältnis oder sie entscheiden ob die Aufteilung durchgeführt wird oder nicht. Das Machtgefälle ist eigentlich ausgeglichen, jeder ist vom anderen abhängig. Es gerät erst in Bewegung, wenn einer der beiden Spieler seine Macht über den anderen missbraucht. Altruistische Bestrafung ist in diesem Zusammenhang als ein Versuch zu interpretieren, die eigene Machtposition/handlungsfreiheit aufrecht zu erhalten, wenn unser Gegenüber unsere Stellung durch sein Verhalten untergräbt. Würden wir anders handeln, würden wir unsere Macht hergeben, was evolutionsbiologisch wenig sinnvoll ist.

Für Unternehmen bedeuten diese Ergebnisse, dass es sinnvoll sein kann den Kunden direkte Kommunaktionskanäle zur Verfügung zu stellen. Das Angebot einer kostenlosen Beschwerdehotline kann die kommunikative Funktion altruistischer Bestrafung übernehmen und somit größeres Übel (Stichwort: Shitstorm) eventuell verhindern, wie die Daten von Xiao und Houser (2005) nahelegen. Wichtig ist, dass der Kunde in seiner Machtposition ernst genommen wird, denn: Ohne Kunde kein Umsatz.

Zusammenfassung: Das Wichtigste in 50 Wörtern

Unfaires oder unangemessenes Verhalten anderer zu bestrafen geht mit einem sogar neuronal nachweisbaren guten Gefühl, nämlich Aktivität im nucleus caudate einher. Mittels altruistischer Bestrafung können wir unsere Machtposition/Autonomie gegenüber anderen bewahren. Bietet man als Unternehmen alternative Kommunikationsmöglichkeiten an, kann dies altruistische Bestrafung verhindern – und somit eventuellen mutwilligen Schäden vorbeugen.

Referenzen

De Quervain, D. J.-F., Fischbacher, U., Treyer, V., Schellhammer, M., Buck, A., & Fehr, E. (2004). The neural basis of altruistic punishment. Science, 305, 1254-1258.

Xiao, E. & Houser, D. (2005). Emotion expression in human punishment behavior. Proceedings of the National Academy of Sciences, 102(20), 7398-7401.

 

Artikelbild auf der Grundlage eines Fotos von FotoHiero / pixelio.de